Lage: 52° 11´ 00.76´´ N 8° 36´ 50.45´´ E (Doberg Mitte), Topographische Karte Blatt 3817 Bünde (Herford-West). Aufschluß direkt nördlich der Autobahn, östlich der Straße Bünde - Herford
Abb. 1 Bünde, direkt nördlich der A 30 zwischen Osnabrück und Minden gelegen
Stratigraphie: Basales Unteroligozän bis Oberes Oberoligozän (34-23 Millionen Jahre, Oberes Paläogen). Schichtlücke zwischen dem Übergang vom Mittleren zum Oberen Oligozän. Nach neueren Untersuchungen (Köthe 1996) Grenzbereich Eozän/Oligozän in der Brandhorst-Formation
Knapp 2 km südöstlich von Bünde in Westfalen, direkt nördlich der A 30 Osnabrück-Bad Oeynhausen, befindet sich im Stadteil Südlengern das knapp 48 ha große Naturschutzgebiet Doberg. Der ursprünglich 105,2m hohe Berg ist aufgrund seines Fossilreichtums und der Vollständigkeit seiner Schichten schon früh in den Olymp einer klassischen, international bedeutsamen Fundstätte der Paläontologie aufgestiegen. Schon Goethe bedankt sich in einem Brief 1829 für die ihm zugesandten "herrlichen Versteinerungen vom Doberg".
Abb. 3 Anstehende oberoligozäne Kalkmergel im Nordteil des Geländes, Blick nach Osten.
Bereits 1912 hat daher die "Staatliche Stelle für Naturdenkmäler in Preussen" die außerordentliche Schutzwürdigkeit festgestellt und einen Teil des Doberges unter Naturschutz gestellt. Zur damaligen Zeit eines der ersten Schutzgebiete in Ostwestfalen-Lippe. Seit 1980 ist zusätzlich ein Areal von 17 ha geschütztes Geologisches Naturdenkmal. Das Suchen von Fossilien ist seitdem nicht mehr möglich.
Abb. 4
Trotzdem lohnt sich ein Besuch der parkähnlichen Anlage, befindet man sich doch hier auf klassischem Boden. Und nicht versäumen sollte man, im Anschluß das Doberg-Museum im benachbarten Bünde aufzusuchen. Es sind hier u.a auch zahlreiche Funde vom Doberg ausgestellt (Museum Bünde, Fünfhausenstr. 8-12, www.museum.buende.de).
Abb. 5 Nordabschnitt, Kalke und Mergel des Oberoligozän
Die älteste Nachricht einer "Mergelkuhle" am Doberg stammt aus dem Jahr 1734. Die glaukonit- und kalkreichen Mergel wurden zum Düngen der Felder und später, nach dem Siegeszug des Kunstdüngers, in geringerem Umfang auch als gefragter Zusatz für Futtermittel der Tauben- und Geflügelzucht abgebaut. Es gab auf einer Länge von über einem Kilometer eine ganze Reihe unterschiedlich großer Mergelgruben. Lienenklaus befürchtete um 1900, daß "in absehbarer Zeit die obere Abteilung des Doberges gänzlich verschwunden sein wird". Der Mergel- und Kalkabbau fand bis in die 70er Jahre des vergangenen Jahrhunderts statt.
Abb. 6 Mergel und Mergel-Sande im Westteil
Dieser stete Anfall frischen, fossilreichen Materials machte den Aufschluß Doberg daher schon vor 180 Jahren zum Ziel für Geologen und Paläontologen. Wissenschaftliche Ersterwähnungen stammen von 1824 und 1825, eingehende Fossilbeschreibungen finden sich bei Graf von Münster (1835), Goldfuss (ab 1834) und F. A. Roemer (1864). Die beiden Ersteren ordneten das Alter der Schichten allerdings noch teils ins Eozän, teils in das Miozän ein.
Erst Beyrich erkannte 1855 das oberoligozäne Alter der Gesteine und zog die Oligozänvorkommen in Astrup bei Osnabrück und Bünde zur ersten weltweit gültigen Tertiärgliederung heran. Von Koenen veröffentlichte ab 1877 in der Palaeontographica mehrere Arbeiten über Mollusken und entdeckte am Doberg auch die Unter- und Mitteloligozänvorkommen. Und Lienenklaus erarbeitete Ende des Neunzehnten Jahrhunderts die erste Monographie über alle bis dahin bekannten Fossilien vom Doberg. Schon damals erfreuten sich die Fossilien vom Doberg unter den Sammlern großer Beliebtheit. Laut Trenkner (1881) boten die im Abbau beschäftigten Arbeiter, hauptsächlich an der Straße nach Herford angesiedelt, Sammlungen der gefundenen Exemplare zu recht stattlichen Preisen an. Erste Profil-Analysen und stratigraphische Einteilungen führte dann Hubach in seiner Dissertation 1922 durch.
Nach dem Krieg tat sich besonders der in Kassel lebende Privatsammler Julius Görges in der Doberg-Forschung hervor. Von ihm stammen zahlreiche Publikationen zur Revision der Mollusken ab 1951.
Neuere Arbeiten beschäftigen sich hauptsächlich mit genaueren Zonierungen durch wichtige Mikrofossilgruppen wie Kalknannoplankton, Foraminiferen und Dinozysten. Man verspricht sich hier eine genauere Korrelation der einzelnen Zonen mit anderen Oligozänvorkommen (Köthe 2005).
Das besonders Wertvolle an dieser Fundstelle ist, daß es sich um den einzigen Tagesaufschluß handelt, in dem das marine Oberoligozän in vollständiger Schichtenfolge, und alle drei Oligozänstufen, d.h. Unter-, Mittel- und Oberoligozän, im Zusammenhang aufgeschlossen sind. Seit 1971 ist daher der Doberg der Neostratotypus - also die weltweite Referenz - für das Chattium. Bis auf vereinzelte Vorkommen wurden die Gesteine des norddeutschen Oligozäns schon im Miozän komplett erodiert. Am Doberg haben sich die Schichten jedoch in einer Ausdehnung von ca. 1200x600m und einer Mächtigkeit von etwa 115m erhalten. Sie sind in einer in West-Ost-Richtung parallel zur Weserkette streichenden Mulde eingefaltet. Durch diese Einfaltung befinden sich die jüngsten Schichten in der ehemaligen Muldenmitte und bilden heute den eigentlichen Kern des Dobergs.
Abb. 7 Kernbereich des Dobergs, Blick auf die Ostwand mit den Muschelbänken 27-29 (Oberoligozän, Untere Doberg-Schichten)
Anstehend sind gebankte, sandige Mergel und Kalkmergel, bestehend aus kleinsten, zerbrochenen Resten von Organismen. Alle Schichten sind mit bis zu 10% Anteilen mehr oder weniger glaukonitreich (Glaukonit = Gemisch aus kalium- und eisenreichen Tonmineralien). Dadurch erscheinen die Gesteine oft - neben ihrer ockergelben Farbe - in einem grünlichen Stich. Eine Besonderheit, nicht selten z. B. in der Schicht 21, sind Gerölle mit Ammonitenfragmenten unterjurassischen Alters. Sie entstammen einem Transgressionshorizont der direkt dem Oligozän unterlagernden Liasschichten (Hettangium). Anstehend sind im Süden und Südosten des Doberges 39m mächtige Sande der Brandhorst-Schichten (Unter-Oligozän) sowie 23m Sande und 8m Ton der Piepenhagen-Schichten (Mittel-Oligozän). Hier finden sich nur selten meist schlecht erhaltene Makrofossilien.
Den Kern bilden jedoch die berühmten Doberg-Schichten oberoligozänen Alters. Die Einteilung erfolgt in obere, glaukonitreiche und, getrennt durch eine bis 20cm mächtige Tonbank, in untere, kalkhaltigere Doberg-Schichten. Diese bestehen aus 70m Mergel und Kalke, die Hubach 1922 in insgesamt 53 Schichten unterteilte (Untere Doberg-Schichten 1-31, Obere Doberg-Schichten 32-53). Görges erkannte 1951 die stratigraphische Bedeutung der vorkommenden Pectenarten. Anderson teilte 1961 die Schichten biostratigraphisch nach den Leitfossilien in Chatt A, B und C. 4 Jahre später unterschied Trunko schon 12 Schichtgruppen A - M.
Abb. 8 Untere Doberg-Schichten, Ostwand des Kernbereiches. Oben und unten im Bild zwei Muschelbänke.
Die Sedimente des Oberoligozäns kamen in einem flachen, stark bewegten Meer zur Ablagerung. Das Wasser war sauerstoffreich und lichtdurchflutet, ein Randmeer der Ur-Nordsee in Küstennähe mit einer Wassertiefe bis 50m und subtropischer Umgebung. Die Jahresmitteltemperatur betrug 18-19°C (heute um 9°C).
Dementsprechend lang ist die Liste der bisher vom Doberg bekannten, fossil überlieferten Arten. Inzwischen sind weit über 500 Arten aus dieser Lokalität beschrieben worden, nicht zuletzt durch zahlreiche neuere Publikationen über Mikrofossilien wie Foraminiferen, Dinoflagellaten und Dinocysten.
Die häufigsten Makrofossilien sind Muscheln (Taf. 2 - Taf. 5), oft angereichert in Schill- oder Muschelbänke (s. Abb. 8 - 10) als Zeichen eines hohen Energieniveaus des damaligen Meeres. Die meisten Arten sind lediglich als Steinkerne überliefert. Die Aragonitschale hat sich nicht oder nur als dünne weiße, mit dem Finger abwischbare Schicht erhalten (siehe Taf. 4). Die Mollusken mit ursprünglichen Schalen aus Kalkspat, wie Austern und alle Pectenarten, liegen jedoch in Schalenerhaltung vor. 94 Muschelarten sind vom Doberg erwähnt.
Taf. 1 Fig. 1 Echinolampas kleini GOLDFUSS 1834, Durchm. 60mm - Fig. 2 dito, 55mm - Fig. 3 Studeria subcarinata (GOLDFUSS 1834), a. Oberseite b. Unterseite, Länge 30mm - Fig. 4 Maretia hoffmanni (GOLDFUSS 1834), Länge 60mm - Fig. 5 Psammechinus pusillus (MÜNSTER 1834), a. Oberseite b. Seitenansicht, Durchm. 16mm [Slg. u. Foto O. Schneider]
Biostratigraphisch bedeutsam und Leitformen im Oberoligozän sind die zahlreichen Pectenarten (Taf. 2 und 3). Mit 17 Arten und Unterarten gibt es keinen anderen Fundort mit einem annähernd gleich großem Vorkommen. Nahezu alle im oligozänen Nordmeer bekannten Pectenarten sind am Doberg zu finden. Eine dringend notwendige Revision der Mollusken ist durch das Paläontologische Institut in Münster geplant. Schnecken, zumeist in Steinkernerhaltung, sind mit 100 Arten vertreten.
Taf. 2 Fig. 1 und 2 Chlamys hausmanni hausmanni (GOLDFUSS 1834), Höhe Fig. 1 22mm, Fig. 2 25mm - Fig. 3 und 4 Chlamys striatocostata (MÜNSTER 1834), Höhe Fig. 1 25mm, Fig. 2 20mm - Fig. 5 Chlamys hofmanni (GOLDFUSS 1834), Höhe 80mm (Slg. u. Foto O. Schneider)
Taf. 3 Fig. 1 Chlamys hausmanni cf. exlaevigata (SACCO 1879), H 20mm - Fig. 2 Chlamys semistriata semistriata (MÜNSTER 1834), H 34mm - Fig. 3 Amussium corneum (SOWERBY 1818), H 32mm - Fig. 4 Balanus stellaris (BROCCHI 1843), Stück 30mm breit - Fig. 5 und 6 Balanus porosus (BLUMENBACH 1803) auf Pectenschale, H 30mm [Slg. u. Fotos O. Schneider]
Nicht selten sind Brachiopoden der Art Terbratula grandis (Linne 1758). Sie fanden in dem warmen, flachen Wasser ideale Lebensbedingungen vor und erreichten eine für Brachiopoden beeindruckende Großwüchsigkeit. Als zweite Brachiopodengattung liegen Einzelfunde einer "Rhynchonella" vor.
Ebert (1889) und Oppenheim (1898) befaßten sich mit der Seeigelfauna (Taf. 1). 17 Arten und Unterarten sind vom Doberg beschrieben. Die teils großen Vertreter der Spezies Echinolampas kleini konnten einst in Massen gesammelt werden.
Ferner umfaßt die Fossilliste der Invertebraten u. a. Bryozoen (33 Arten), Korallen (3), Serpula (2), Seepocken mit 3 Arten (Taf. 3 Fig.4-6) und Foraminiferen (115).
Taf. 4 Fig. 1 Panopaea menardi (DESHAYES), L 62mm - Fig. 2 Artica rotundata (AGASSIZ 1845), H. 70mm - Fig. 3 Glossus (Glossus) subtransversus (D´ORBIGNY 1851), H 60mm [Slg. u. Foto O. Schneider]
26 Fischarten sind aus den Doberg-Schichten bekannt, darunter befinden sich 14 Selachierarten. Meist überliefert durch Zähne und Otolithen. Untersuchungen zeigten, daß ein Drittel der Arten neu im Oberen Oligozän auftraten, d. h. der überwiegende Rest als konservativer Kern bereits im Mitteloligozän vorhanden war. Weitere Vertebratenfunde sind Schildkrötenreste und die als nahezu komplettes Skelett überlieferte Seekuh Anomotherium langewieschei SIEGFRIED. Überregional bekannt ist sicherlich auch der ebenfalls im Museum Bünde aufbewahrte Schädel des Wales Eosqualodon langewieschei ROTHAUSEN. Der 1911 gefundene, knapp 93 cm lange Schädel incl. Unterkiefer ist der besterhaltene fossile Walschädel der nördlichen Hemissphäre.
Taf. 5 Fig. 1 Handstück aus Muschelbank Schicht 29 mit Chlamys hausmanni (GOLDFUSS 1834), H 62mm - Fig. 2 Glycimeris philippii, H 39mm - Fig. 3 "Natica" spec., Durchm. 15mm - Fig. 4 "Pleurotomaria" spec., Durchm. 20mm [Slg. u. Foto O. Schneider]
Alle Fotos, soweit nicht anders vermerkt, von O. Schneider. Die Aufschlußbilder zeigen jeweils die aktuelle Situation im September 2006.
An dieser Stelle sollen in loser Folge klassische oder interessante Fundstellen in Nordwestdeutschland vorgestellt werden. Aktive aber auch ehemalige, erloschene Lokalitäten. Teil 2 wird den ehemaligen Stbr. Hollekamp in Wüllen b. Ahaus behandeln. Falls jemand interessante Funde in der Sammlung hat oder aussagekräftige Bilder der Fundstätte besitzt, wäre ich für eine Übermittlung über meine Privatmail oder PM (alias Infulaster) dankbar.
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