Sonstige Berichte

Rezension: Europasaurus. Urzeitinseln voller Leben.

Europasaurus. Urzeitinseln voller Leben.

Graphic Novel

Oliver Wings & Joschua Knüppe

180 Seiten, in deutscher und englischer Sprache, 19,80 €

Verlag Dr. Friedrich Pfeil, München, 2020

ISBN: 978-3-89937-264-9

 

Cover

Abb. 1: Cover

 

1998 wurden im Langenberg-Steinbruch bei Goslar in Sedimenten aus dem Oberjura erstmals Knochen von Dinosauriern gefunden. Seit dieser Zeit wird der Gesteinsabbau dort von Paläontologen und Geologen wissenschaftlich begleitet. Dabei konnten tausende von Funden, nicht nur von Dinosaurierüberresten, sondern auch von ihrer Mitfauna und -flora geborgen werden. Aus diesen Funden entstand das Bild einer zeitweise vom Festland abgeschnittenen und daher weitgehend von großen Raubsauriern „verschonten" subtropischen Insel, deren begrenztes Nahrungsangebot unter ihren Bewohnern zur Ausbildung von Zwergformen führte. Besonders eigentümlich ist dies bei Europasaurus, einem Sauropoden, der gerade einmal die Schulterhöhe eines Pferdes erreichte. Das Buch, durchgehend parallel in deutscher und englischer Sprache gehalten, begleitet in doppelseitigen farbigen Bildern eine Herde dieser Europasaurier sowie auch einige ihrer Mitgeschöpfe in zusammenhängender Folge durch Situationen und Gefahren ihres täglichen Lebens, wie sie unter anderem aus Fossilfunden am Langenberg rekonstruiert werden konnten. Den Doppelseiten ist jeweils eine sehr kurze Erläuterung der dargestellten Szene beigesellt, eingefügte kleinere Bilder zeigen Details oder erzählen in ihrer Abfolge eine kurze Handlung. An diese Bildergeschichte schließt sich eine kompakte, ebenfalls umfangreich bebilderte Präsentation der wissenschaftlichen Funde und Befunde an, die die Grundlagen für die grafische Rekonstruktion der gezeigten Landschaft und Lebewelt sowie für die Handlungen der Tiere lieferten. Dabei werden auch die Fundstelle und die Arbeitsmethoden der Paläontologen vorgestellt.

 

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Abb. 2: Doppelseite, S. 92-93 Bildteil. Ansicht vergrößern.

 

In dieser Verbindung von Rekonstruktion mit Faktenlage, samt dem Bekenntnis zu fiktionalen Ergänzungen, liegt die Stärke dieses Buchs: Es ist kein fantasiegeborenes Urzeit-Bilderbuch, sondern vermittelt in großer Leichtigkeit ernsthaft Erkenntnisse und legt offen, wo die Grenzen zur Spekulation überschritten werden. Die Zusammenarbeit der beiden Autoren, eines auf den Fundort Langenberg spezialisierten Paläontologen und eines renommierten Zeichners, ist in dieser Form äußerst fruchtbar. Die Eröffnungsszene, die urzeitliche Erde aus dem Weltall betrachtend und dann auf die Inselwelt Mitteleuropas zoomend, bis schließlich die Tierwelt in den Fokus gelangt, könnte in ihrer Größe und Dynamik im besten Sinne einem Film entstammen und ist dem Format einer Graphic Novel, neudeutsch Comic, angemessen. Naturgemäß aber fehlen beim Sujet der Paläo-Art Dialoge in pointierten Bildern, wie sie als tragende Elemente einer Comicerzählung an und für sich charakteristisch sind und diese vorantreiben. Dies suchen die kurzen, oft nur aus einem oder zwei Sätzen bestehenden Bilderläuterungen auszugleichen. Es lohnt sich aber auch, einige stimmungsvolle und manchmal aufwühlende Bilder auf sich wirken zu lassen, statt sie sich einfach auserzählen zu lassen. Ob es ihrer Wirkung gut tut, dass der Erläuterungstext gleich in zwei Sprachen mitten in sie hinein gesetzt wurde, ist Geschmackssache. Wo, fachlich durchaus korrekt, taxonomische Zuordnungen adjektivisch verwendet werden („rhamphorhynchine Flugsaurier“) mag der Lesefluss des durchschnittlichen Lesers kurz in Ratlosigkeit stocken.

 

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Abb. 3: Doppelseite, S. 168-169, Textteil. Ansicht vergrößern.

 

Hätte man den Rezensenten vor diesem Buch gefragt, ob die Vermittlung von paläontologischen Zusammenhängen in so kurzer Form und in bewusst einfach gehaltener Sprache gelingen kann, so hätte er dies wohl bezweifelt. Er ist eines Besseren belehrt worden. Das Werk ist keine Graphic Novel im strengen Sinne, auf seine Weise jedoch ein kleines, feines Sachbuch auf dem durchaus nicht unproblematischen Feld der Urzeitrekonstruktion, das sich wissbegierigen Kindern und erwachsenen, nicht mit der Materie vertrauten Laien gleichermaßen anempfiehlt und beide auch zur gemeinsamen Lektüre und zum Gespräch darüber einlädt.

 

 

Rezension: Rainer Albert für Steinkern.de

 

 


 

Weitere Beispielsseiten aus dem Buch sind auf https://pfeil-verlag.de/publikationen/europasaurus/ abgebildet.

 

Über Rezension und Buch kann im Steinkern-Forum diskutiert werden:

https://forum.steinkern.de/viewtopic.php?f=3&t=31606