Trilobiten

Äußerst selten und äußerst herausfordernd: ein kompletter Chasmops aus dem Geschiebe

Komplette Trilobiten sind im Geschiebe Norddeutschlands nur mit Übung, Ausdauer und etwas Glück zu finden und daher sehr begehrt. Unter der Vielzahl an Trilobiten-Spezies gibt es wie bei allen Sammlungsschwerpunkten auch im Geschiebe besonders seltene, von denen überwiegend nur isolierte Kopf-oder Schwanzschilde gefunden werden. Dazu zählen fast alle Arten der Chasmopinae. Einen kompletten Vertreter dieser Unterfamilie zu finden gilt daher als absoluter Top-Fund. Über die aufwendige und schwierige Präparation eines solchen Fundes möchte ich im Folgenden berichten.

Dem Geschiebesammler Jan Deppermann gelang im Jahr 2019 der besagte Fund eines kompletten Chasmops aus dem Geschiebe. Chasmopinae aus dem Geschiebe gelten als generell schwierig zu präparieren, da sie in der Regel in sehr harten Kalken gefunden werden und die Trennung des Gesteins von der Schale fast immer schlecht ist. Lediglich bei angewitterten Macrouruskalken kann die Präparation mit etwas Glück etwas einfacher sein. Aufgrund des zu erwartenden Schwierigkeitsgrads der Präparation und des Seltenheitswerts des Fundes übergab mir Jan Deppermann den Trilobiten zur weiteren Präparation.

Ich habe mir zunächst das Gestein genauer angeschaut, welches sehr an Ludibunduskalk erinnert. Es ist aber deutlich heller und auch zäher/fester als typischer Ludibunduskalk, sodass die Zuordnung zum Ludibunduskalk unter Vorbehalt erfolgt. Der Trilobit lag im Fundzustand im Querbruch vor (Abb. 1).

 

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Abb. 1: Der eingerollte Chasmops im Querbruch. Foto vergrößern.

 

Es ließen sich gut der Kopfschild mit dem rechten Auge und den beiden Wangenstacheln erkennen. Des Weiteren waren mindestens fünf Pleuren zu sehen, wobei der Thorax mehr oder minder stark eingerollt vorlag. Alles in allem eine sehr gute Ausgangslage. Allerdings war ich zu diesem Zeitpunkt nur verhalten optimistisch. Ich hatte in der Vergangenheit schon mehrere Chasmopinae und auch andere Geschiebetrilobiten präpariert, die vom Ausgangszustand her komplett zu sein schienen. Nicht wenige stellten sich als unvollständig heraus. Die Erfahrung lehrte mich also nur das als sicher erhalten anzunehmen, was auch tatsächlich bereits sichtbar war. Aus dieser Haltung heraus wollten wir im ersten Schritt der Präparation feststellen, ob der Trilobit tatsächlich komplett ist. Hierzu müsste geprüft werden, ob das Pygidium vorhanden ist, welches tiefer im Gestein unterhalb der Pleuren auftauchen müsste (Abb. 2).

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Abb. 2: Im angefeuchteten Zustand lässt sich die Schale ein wenig besser erkennen. In der unteren Bildhälfte müsste das Pygidium verborgen sein.

 

Ich begann daher den Pleuren auf der rechten Seite der Rhachis in Richtung Schwanzschild zu folgen. Erfreulicherweise liegen die ersten ergrabenen Pleuren dicht aneinander (Abb. 3).

 

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Abb. 3: Nach dem ersten Anpräparieren sind bereits zwei weitere Pleuren aufgetaucht, ein gutes Zeichen!

 

Entsprechend motiviert ging es weiter. Das Gestein haftete erwartungsgemäß hartnäckig auf der Schale. Wesentlich schlimmer war jedoch die Feststellung, dass die Schale extrem brüchig war bzw. äußerst empfindlich auf mechanische Beanspruchung reagierte. Aus diesem Grund wurde das aufliegende Gestein sehr langsam und vorsichtig weggestichelt, um möglichst wenig Vibrationen auszulösen. Im späteren Verlauf der Präparation musste das Gestein zunehmend mit diversen Schleifaufsätzen geschliffen werden. Die jeweils letzten 1– 2 Millimeter Gestein über der Schale konnten mit etwas Glück mit einem feinen Stichel freigelegt werden, teils mussten sie aber auch bei geringem Druck vollständig gestrahlt werden. So ging es also bereits zu Beginn der Präparation nur langsam voran, aber immerhin zeigten die ersten freigelegten Pleuren eine gut erhaltene Schale (Abb. 4).

 

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Abb. 4: Immer weiter wird in Richtung Pygidium gegraben.

 

Kurz hinter der letzten Pleure setzte dann die erhoffte Erleichterung ein: Das Pygidium ist vorhanden und der Chasmops dürfte damit vollständig sein (Abb. 5)!

 

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Abb. 5: Wie unten im Bild gut zu sehen ist: das Pygidium ist vorhanden!

 

Im nächsten Schritt ging es an die rechte Kopfseite, um hier ein Fenster zu schaffen, das nach der Klebung Orientierung bieten würde. Die Schale zeigt sich hierbei von ihrer besten Seite, auch wenn jeder Millimeter hart erkämpft werden muss (Abb. 6).

 

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Abb. 6: Anpräparierter Bereich an der rechten Kopfseite.

 

Um das Aussägen des Gegenstücks vorzubereiten, wurden beide Hälften mehrmals aneinander gehalten. Auf diese Weise entwickelt sich ein dreidimensionales Bild im Kopf, das beim Abschätzen der Ausmaße des Trilobiten im Gestein hilft. Wenig wäre tragischer, als mitten durch das Fossil zu sägen.
Zwischen den beiden Hälften fehlt eine kleine Scherbe (Abb. 7).

 

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Abb. 7: Die beiden Steinhälften aneinandergelegt offenbaren die Lücke im Wangenstachel – dieser läuft zudem ein Stückchen weiter aus dem Gestein heraus.

Dies war von vornherein zu sehen und sollte keine größeren Schwierigkeiten hervorrufen. Da aber eine Lücke im Wangenstachel klafft, muss hier bei der Klebung aufgefüllt werden, damit der Stachel, der in der anderen Hälfte des Steins weiterläuft, in der richtigen Position gehalten wird. Leider war auch bereits zu sehen, dass die Spitze des Wangenstachels aus dem Gestein herausläuft. Würde der Trilobit doch nur einen Zentimeter tiefer im Gestein liegen… aber so ist das im Geschiebe eben; die Steine wurden ohne Rücksicht auf darin enthaltene Fossilien abgerundet. Der linke Wangenstachel war von außen nicht zu erkennen.
Nachdem im Gegenstück Hilfslinien angezeichnet wurden, konnte es ans Sägen gehen. In diesem Zuge wurde auch das andere Gesteinsstück gesägt (Abb. 8).

 

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Abb. 8: Der Stein wird ungefähr entlang der eingezeichneten Linie gesägt.

 

Auf diese Weise wird eine Standfläche für das spätere Präparat geschaffen und überschüssiges Gestein entfernt. Ich bin zwar eigentlich ein Freund von großen und möglichst ungesägten Steinen, aber in diesem Fall war das Verhältnis von Gestein zu Fossil alles andere als ansprechend. Durch gezieltes Beschlagen kann man oft künstliche Schnittflächen umgehen und ich favorisiere diese Technik wann immer es geht. In diesem Fall war das Risiko aber eindeutig zu hoch den Trilobiten zu beschädigen, sodass ich mich für einen sauberen Schnitt entschied.
Nun konnte der Trilobit geklebt werden. Wie bereits angesprochen wurde der Spalt im Bereich des Wangenstachels dabei aufgefüllt. Das hierfür verwendete eingefärbte Epoxidharz kann später in Form geschliffen werden und stellt so dann auch gleich die Rekonstruktion des verlorengegangenen Stücks dar. Für die restliche Klebefläche wurde dünnflüssiger Sekundenkleber eingesetzt, um eine passgenaue Klebung zu gewährleisten. Etwaige Fehlstellen entlang der Bruchlinien können später aufgefüllt werden.
Nachdem der Kleber ausgehärtet war, konnte die Freilegung am Kopfschild fortgeführt werden (Abb. 9).

 

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Abb. 9: Nach erfolgter Klebung wird das Cephalon weiter freigelegt.

 

Ich arbeitete mich langsam um das Auge herum und dem Saum folgend in Richtung Glabella. Erwartungsgemäß wurde die Arbeit entlang der Bruchlinie durch Haarrisse erschwert, die die Schale noch instabiler machten. Alles in allem konnten aber gute Fortschritte erzielt werden. Es zeigten sich dann die befürchteten kleineren Fehlstellen entlang des Bruchs, die aber später aufgefüllt werden können (Abb. 10).

 

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Abb. 10: Blick auf die Glabella mit kleineren Fehlstellen im Bereich der Klebung.

 

Nun ging es langsam weiter Richtung Nackenring. Wichtig war es hierbei die Augen zu lokalisieren, da diese bei den Chasmopinae mitunter sehr hoch sein können. Zu diesem Zeitpunkt wussten wir noch nicht sicher, mit welcher Art wir es zu tun hatten und dann geht Sicherheit vor. Also wurde das rechte Auge vorsichtig umrundet und der linke Augendeckel freigelegt (Abb. 11).

 

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Abb. 11: Der Nackenring und beide Augendeckel wurden lokalisiert und freigelegt.

 

Bevor der mittlere Teil des Panzers freigelegt wird, sollte der linke Wangenstachel lokalisiert werden. Doch schon kurz hinter dem linken Auge war dann plötzlich Schluss. Der Wangenstachel liegt nicht dort, wo er eigentlich sein sollte (Abb. 12).

 

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Abb. 12: Unverhofft kommt oft: wo ist der linke Wangenstachel?

 

Dabei war dieser im Schnittbild (Abb. 1) doch eigentlich gut zu erkennen gewesen. Die einzige Erklärung hierfür ist, dass der Stachel etwas verlagert eingebettet wurde. Also musste vorsichtig weitergegraben werden – und nach einem halben Zentimeter tauchte das vermisste Stück dann auch glücklicherweise auf. Die Orientierung des Stachels war im Fundzustand nicht so einfach abzulesen: er läuft deutlich nach unten und die Spitze auch hier leider aus dem Gestein heraus (Abb. 13).

 

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Abb. 13: Verrutscht, aber vorhanden: der linke Wangenstachel wurde gefunden - auch dieser läuft mit der Spitze aus dem Gestein heraus.

 

Als nächstes wurde einiges an umliegendem Material abgetragen, um mehr Bewegungsfreiheit bei der Freilegung zu erhalten. Dabei stand auch die Gestaltung des Stücks im Vordergrund. Der Trilobit wird auf der Schauseite am höchsten Punkt neben der ungefähren Mitte positioniert, wodurch ein ausgewogenes Verhältnis von Gestein, Freiraum und Fossil entsteht (Abb. 14).

 

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Abb. 14: Nach erfolgter Grobformatierung des Stücks lässt sich das spätere Erscheinungsbild schon erahnen!

 

Die Freilegung der Pleuren erfolgt wie bereits weiter oben beschrieben sehr vorsichtig, langsam und mühselig, aber es geht voran (Abb. 15)!

 

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Abb. 15: Weiter geht es am Thorax.

 

Im Mittelteil des Thorax schwächelt die Erhaltung leider. Einige Teile der Schale sind stark angelöst, was die Präparation nicht gerade erleichtert. Auch wird die Schale am Pygidium extrem dünn. Teilweise ist sie sogar durchscheinend und lässt im angefeuchteten Zustand einen Blick auf die Struktur der darunterliegenden Matrix zu (Abb. 16).

 

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Abb. 16: Der mittlere Bereich scheint einigermaßen angelöst zu sein. Die Schale ist extrem dünn.

 

Die weitere Freilegung erfolgt ohne böse Überraschungen und der Panzer kommt immer mehr zum Vorschein (Abb. 17-19).

 

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Abb. 17: Die Augen warten mit etwas besserer Erhaltung auf – die Linsen sind deutlich zu sehen.

 

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Abb. 18: Das Pygidium liegt relativ weit in den Kopfschild eingesunken. Hier muss noch genügend Matrix verbleiben, damit der Trilobit sicher auf dem Gestein sitzt.

 

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Abb. 19: Insgesamt schwächeln fünf Pleuren mehr oder weniger stark im Erhaltungszustand. Die Grundsubstanz ist aber überwiegend gut!

 

Am linken Rand des Pygidiums wird inzwischen nur noch geschliffen und gestrahlt. Hier wird die Matrix langsam dünn, da auf der anderen Seite der linke Innenrand des Cranidiums liegt. Der Zwischenraum zwischen Kopf- und Schwanzschild wird auf der linken Hälfte daher nicht vollständig freigelegt. Hier muss eine dünne „Gesteinsbrücke“ stehen bleiben, durch die der Trilobit sicher auf der Matrix sitzt (Abb. 20).

 

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Abb. 20: Der hintere Saum des Pygidiums wurde erreicht. Mitunter ist die Schale so dünn, dass die Matrix darunter im angefeuchteten Zustand deutlich zu sehen ist.

 

An dieser Stelle habe ich mich noch einmal intensiv mit Jan besprochen. Sein Wunsch war es, die fehlenden Stachelspitzen (die aus dem Geschiebe herausliefen) zu rekonstruieren. Da der abgewinkelt liegende linke Wangenstachel hierbei das charakteristische Bild aufgestellter Wangenstacheln bei eingerolltem Thorax verhindert, sollte dieser wieder „gerichtet“ werden. Das ist eine Frage der Einstellung und auch des persönlichen Geschmacks. Der Trilobit hätte auch ohne jegliche Rekonstruktionsarbeit fertiggestellt werden können.
Da der Wangenstachel ein gutes Stück abgewinkelt vorlag, war es verhältnismäßig einfach diesen zu entnehmen und an ursprünglicher Stelle wiedereinzusetzen (Abb. 21 und 22).

 

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Abb. 21: Der Chasmops nach grober Freilegung – vor Reartikulation des linken Wangenstachels…

 

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Abb. 22: … und nach erfolgter Reartikulation sowie Feinpräparation.

 

Die angelösten Bereiche der Pleuren wurden in diesem Zuge ebenfalls restauriert (Abb. 23 und 24).

 

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Abb. 23: Ansicht der Rhachis vor den Restaurationsarbeiten.

 

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Abb. 24: Blick auf das Pygidium, das so weit wie möglich freigelegt wurde, ohne die Stabilität des Trilobiten auf der Matrix zu gefährden.

 

Mit der Modellierung der Stachelspitzen endete dann auch der letzte Arbeitsschritt an diesem seltenen Trilobiten, der nun endlich nach fast 60 Stunden mühevoller Kleinarbeit fertiggestellt werden konnte (Abb. 25-30).

 

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Abb. 25: Das fertige Präparat nach Abschluss aller Restaurations- und Rekonstruktionsarbeiten. Foto vergrößern.

 

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Abb. 26: Die Rückseite der Stufe. Foto vergrößern.

 

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Abb. 27-29: Weitere Ansichten des Chasmops tallinnensis – alle drei Ansichten können durch Anklicken des jeweiligen Fotos vergrößert angezeigt werden.

 

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Abb. 30: Detailaufnahme des rechten Auges. Unten links auf der Schale dank Lichtreflexion auf der kontrastarmen Schale sichtbar: eine sehr feine Tuberkulierung. Foto vergrößern.

 

Es handelt es sich vermutlich um die Art Chasmops tallinnensis, die aus Chasmops odini odini hervorgegangen ist und sich von diesem nicht immer sicher abgrenzen lässt. Hans-Hartmut Krüger bezeichnet C. tallinnensis in seiner Arbeit über die Chasmopinae als sehr selten und den Erhaltungszustand als oft schlecht. Zudem seien die Panzer aus den sehr harten, etwas helleren Kalken nur sehr schwierig zu bergen bzw. zu präparieren. Diese Beobachtungen decken sich mit meiner Erfahrung aus der Präparation dieses Stücks. Glücklicherweise war nur ein Bereich des Trilobiten, insbesondere die Rhachis, von einem schlechten Erhaltungszustand gezeichnet. Die Präparation war hingegen über das gesamte Fossil hinweg sehr herausfordernd. Die schlechte Trennung und die extrem dünne und brüchige Schale waren hartnäckige Verbündete. Umso erfreulicher ist das Ergebnis der Arbeit: ein Sammlungsstück, das sicher bei vielen Geschiebesammlern ganz vorn in der Trilobitensammlung stehen würde.

 

Angaben zum Fossil im Überblick:

Fossil: Trilobit Chasmops tallinnensis ÖPIK 1937

Fundort und Fundjahr: Kreuzfeld bei Malente (Schleswig-Holstein), 2019

Stratigrafie: Ludibunduskalk (?), Oberes Ordovizium, unteres Caradoc, Kukruse-Stufe, C2

Breite des Cephalons: 3,4 cm

Arbeitsaufwand: 59 Stunden

Präparation und Fotos: Paul Freitag

Sammlung: Jan Deppermann

 

Literatur:

Krueger, H.-H. (2013): Die Unterfamilie Chasmopinae (Trilobita, Pterygometopidae) aus baltoskandischen Geschieben sowie Baltoskandia und angrenzenden Gebieten, 150 S., Halle (Saale).

 

Fotos und Bericht: Paul Freitag für Steinkern.de