Restauration einer Chimäre der Art Ischyodus quenstedti aus dem Tithonium von Wegscheid

Manchmal hat man das Glück, sich präparatorisch an absoluten Seltenheiten „austoben“ zu können. Leider sind gerade seltene Stücke sehr oft mit irgendeinem „Fehler“ behaftet, man darf hier nicht ganz so wählerisch sein, wie bei häufigeren Fossilien. In diesem Fall handelt es sich um die Liegendplatte einer Chimäre der Gattung Ischyodus mit sensationeller Weichteilerhaltung (vgl. Abb 1-9). Das Manko: ab dem Ansatz der Afterflosse fehlt nach hinten alles. Das was von der Chimäre vorhanden ist, misst 58 cm – eine schöne Größe!

 

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Abb. 1: Ausgangslage vor der Umgestaltung des Gesteins und vor dem Ergänzen. Foto vergrößern.

 

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Abb. 3 Foto vergrößern.

 

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Die Aufgabe, den Fisch zu komplettieren, erscheint ansich nicht allzu schwierig zu sein. Die hohe Kunst dabei ist es jedoch, wie in der plastischen Chirurgie, möglichst mit Eigenmaterial auszukommen. Dies wiederum ist ein durchaus ehrgeiziges Unterfangen!

Der Stein besteht aus mehreren Schichten. Dazu zählen mehrere dünne Lagen mit Stärken im Millimeterbereich, deren oberste das Fossil trägt. Die Basis bildet eine Schicht mit knapp 1 cm Stärke. Die dünnen Platten sind ungebrochen, der dicke Stein wurde hingegen schon einmal geklebt. Bereits bei der Bergung wurde der Stein angespalten, so dass auf Höhe des Kopfes eine Kluft zwischen den oberen dünnen Lagen und dem Hauptstein vorhanden ist, die tief in den Plattenstapel hineinreicht. Interessant ist auch die Rückseite des Steins. Die Beule, die das Fossil verursacht hat, und anhand derer man meist ableiten kann, was auf einen zukommt, deutet hier optisch eher auf einen Tintenfisch hin als auf eine Chimäre.
Beim Wegstellen der Platte passiert ein kleines Unglück. Einmal unvorsichtig angefasst, bricht ein Teil der Nase ab. Der Stein muss vor der weiteren Bearbeitung unbedingt stabilisiert werden.
Es wird also erst einmal rundum fast alles mit Spachtelmasse abgedichtet, dann mit verdünntem Kunstharz der Spalt ausgegossen und abschließend auch dieser Bereich mit Spachtelmasse „dicht“ gemacht. Zwischendurch wird immer wieder Sekundenkleber in diverse andere kleine Spalten gegeben. Am Ende sind mehr als drei Flaschen Sekundenkleber á 50 Gramm im Stein „verbraten“ worden!

 

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Abb. 10

 

Da die Gesteinsmatrix etwas zu unhandlich ist, muss sie geteilt werden. Das dabei anfallende Stück der Platte soll zudem für die Restauration genutzt werden. Daher ist die Linie auf der das Gestein abgetrennt werden soll mit Bedacht zu wählen. Ich entscheide mich für die rustikale Variante. Dabei erfolgt das Trennen nicht in einer geraden, sondern entlang einer unregelmäßigen Linie. Im Zuge dieser Aktion verabschiedet sich meine Bohrmaschine von Proxxon stinkend mit einem „pöff“ und einem blauen Blitz – es muss umgehend Ersatz her. Auf die Schnelle habe ich nur einen Dremel greifbar. Egal, dann muss es eben damit gehen. Ernüchtert stelle ich fest, dass nur ganz wenige meiner Einsätze hinein passen, da das Gerät eine größere Aufnahme als die Maschine von Proxxon hat. Immerhin, ein passender Träger mit dicker Führung ist vorhanden. Zum Glück!

Die Teilung gelingt (vermutlich stressbedingt) nur suboptimal, Stücke brechen vom abgetrennten Stein ab und müssen wieder angefügt werden, damit der Plan doch noch aufgeht.

 

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Abb. 11

 

Das so gewonnene Stück kann letztlich optimal für die Restauration genutzt werden. Obwohl bislang keine exakte Berechnung des Fehlenden, sondern nur ein Überschlag gemacht wurde, sollte es letztlich reichen.

 

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Abb. 12

 

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Abb. 13

 

Anhand des Fotos eines vollständigen Individuums wird zunächst das Ausmaß des fehlende Bereichs abgezirkelt. Dann wird die Schwanzflosse aus diesem Bild am Computer ausgeschnitten, auf das richtige Maß skaliert und ausgedruckt. Nach diesem Ausdruck wird eine Schablone aus einer transparenten dicken Folie gefertigt, die als Muster dient. Beim Auflegen sieht man, dass es knapp wird, es aber eben doch reicht. Das abgetrennte Stück passt perfekt!

 

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Abb. 14

 

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Abb. 15

 

Dann geht es an den altbewährten Bandschleifer, denn die Steine müssen aneinander angepasst werden. Angesichts der unhandlichen Formate ist dies ein nicht ganz leichtes Unterfangen. Die Hauptplatte wird zunächst mit der unteren Seite an einen Anschlag gelegt, nachdem die Kante an die der Stein angesetzt werden soll, egalisiert wurde.

 

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Abb. 16

 

Dann wird der Ansetzstein vorsichtig untergeschoben, ebenfalls mit der Unterkante am Anschlag anliegend. Die Schablone wird zur Kontrolle nochmals aufgelegt, damit alles auch sicher passt. Erst danach wird angezeichnet.

Ein Weilchen später sieht der grobe Vorschliff schon ganz gut aus. Die Arbeit ist aufgrund des Gewichts der Steine anstrengend und es muss ständig kontrolliert werden, dass auch alles hält und einem nicht plötzlich Teile der obersten Schicht abhanden kommen. Auch hier kommt immer wieder Sekundenkleber zum Einsatz.

 

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Abb.17

 

Bis der Fugenschluss passt, ist es erforderlich noch ein paar Mal Kleinigkeiten nachzuschleifen.

 

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Abb.18

 

Nun erfolgt die Kontrolle im zusammengelegten Zustand auf einem Tisch mithilfe eines langen Lineals. Dann wird zur besseren Übersicht noch einmal die Schablone aufgelegt.

 

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Abb. 19

 

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Abb. 20

 

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Abb. 21

 

Dann geht es mit den Steinen wieder in die Werkstatt. Die obere Kante vom Ansetzstein muss formatiert werden. Es wird gesägt, gebrochen und mit einer Zange gezwickt. Zwischendurch wird erneut per Schablone kontrolliert, damit am Ende der Gesamteindruck stimmt. Und tatsächlich, das Ganze nimmt allmählich Gestalt an.

 

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Abb. 22

 

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Abb. 23

 

Die Kontur der zu restaurierenden Partie der Chimäre wird auf die Platte übertragen und dann vorsichtig in den Stein gearbeitet. Es soll am Ende so aussehen, als läge die Flosse wie der Rest des Fossils leicht erhaben auf der Platte. Um diesen Eindruck zu erzeugen, ist Fingerspitzengefühl gefragt. Nebenbei werden auch noch vorhandene Unebenheiten zwischen beiden Steinen angeglichen. Nachdem der Umriss der Flosse definiert ist, wird mit einem kleinen Rosenbohrer auch noch das Seitenlinienorgan in die Platte geschabt.

 

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Abb. 24

 

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Abb. 25

 

Dann wird das Seitenlinienorgan vorsichtig unter dem Stereomikroskop ausmodelliert und mit Hilfe einer feinen Nadel mit Segmentgrenzen versehen.

 

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Abb. 26

 

Eine letzte Anprobe.

 

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Abb. 27

Nun wird der Stein für die Klebung ausnivelliert. Mit einem langen Lineal wird oberhalb und unterhalb des Fossils kontrolliert, um sicherzustellen, dass beide Steine in einer Flucht liegen und man keinen Knick in die Platte „baut“.

 

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Abb. 28 und 29

 

Aufgrund der Abmessungen kann nicht in der Werkstatt geklebt werden. Die „Schweinerei“ findet bei "sturmfreier Bude" im Wohnzimmer statt.

 

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Abb. 30

 

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Abb. 31

 

Nach dem Versäubern sieht die Chimäre schon sehr ordentlich aus, der Stein wirkt fast natürlich, obwohl die Kontur der Platte gut zur Hälfte konstruiert ist. Und doch bedarf es noch einiger feiner Nacharbeiten. Nachdem auch diese erledigt sind, liegt am Ende ein herrliches Fossil vor, das dem Auge gefällt, ohne dass die Restautation versteckt oder mit Farbe kaschiert werden muss.

 

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Abb. 32: Foto vergrößern.

 

Es handelt sich um ein weibliches Exemplar der Seekatze Ischyodus quenstedti. Dies lässt sich am Fehlen von Klaspern (Begattungsorgane männlicher Seekatzen) festmachen. Auffällig ist, dass der Nackenstachel abgebrochen ist. Eine alte Verletzung wie es scheint. Wie es zu diesem Schaden gekommen ist, darüber kann man allerdings nur spekulieren.

 

Angaben zum Fossil im Überblick:


Art: Ischyodus quenstedti WAGNER, 1857

Größe (unter Einschluss des restaurierten Teils): ca. 83 cm

Fundort: Wegscheid

Zeitaufwand der Überarbeitung: ca. 18 Stunden

 

Udo Resch für Steinkern.de

 


 

Diskussion zum Bericht im Steinkern.de Forum:

https://forum.steinkern.de/viewtopic.php?f=3&p=253591

 


 

Weiterführender Hinweis:

Wer sich für Chimären aus den Solnhofener Plattenkalken interessiert, findet in Heft 27 - Der Steinkern einen Artikel von RESCH & LAUER über die Seekatzen-Art Chimaeropsis paradoxa, die noch deutlich seltener als Ischyodus quenstedti auftritt:

 

Chimaeropsis paradoxa Chimaere Plattenkalk

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Chimaeropsis paradoxa – eine wenig bekannte Chimäre aus den Solnhofener Plattenkalken

Udo Resch & Bruce Lauer, Umfang: 10 Seiten, 9 Abb.

Chimären, auch Seekatzen genannt, bilden neben Haien und Rochen die dritte große Gruppe der Knorpelfische. Wie ihre Verwandten, Haie und Rochen, sind auch Chimären in den Plattenkalken von Eichstätt und Solnhofen äußerst seltene Fossilien. Die Autoren beschreiben die drei aus den Plattenkalken bekannten Arten Elasmodectes avitus, Ischyodus quenstedti und Chimaeropsis paradoxa und kommen zu dem Schluss, dass das im Artikel beschriebene bemerkenswerte neue Stück mit der Beschreibung der seltensten der drei Spezies  C. paradoxa eine gute Übereinstimmung zeigt. Die Merkmale des Fossils werden beschrieben und u. a. durch exzellente unter UV-Licht erstellte Aufnahmen von Helmut Tischlinger illustriert. Der neue Fund könnte zum "Stein des Anstoßes" für eine moderne wissenschaftliche Bearbeitung von Chimaeropsis paradoxa werden.