Urpferdchen und der Primat Darwinius masillae treffen Urvogel Archaeopteryx im Geo-Zentrum Solnhofen

Die International Union of Geological Sciences (IUGS) ist eine der größten wissenschaftlichen Organisationen der Welt. Sie vertritt mehr als eine Million Geowissenschaftler. Zu ihrem 60-jährigen Bestehen haben sich 200 Fachleute aus fast 40 Ländern an einer Auswahl von Standorten beteiligt, die nun den Rang von Geo-Erbestätten der IUGS haben. 181 Kandidaten aus 56 Ländern wurden vorgeschlagen und von 33 internationalen Expertinnen und Experten bewertet. Das Ergebnis ist die Liste der ersten 100 IUGS Geo-Erbestätten weltweit, die vom 25. bis 28. Oktober 2022 im spanischen Basque Coast Geopark von der IUGS vorgestellt wurde.

Deutschland ist mit drei Geo-Erbestätten auf globaler Ebene ausgesprochen gut vertreten. Die deutschen Preisträger sind das holozäne Ulmener Maar in der Kategorie Vulkanismus, sowie der Messeler Ölschiefer mit seinen Fossilfunden und die Solnhofener Plattenkalke von Solnhofen-Eichstätt mit Archaeopteryx. Solnhofen und Messel sind zwei von nur 19 Geo-Erbestätten, die einen paläontologischen Hintergrund besitzen. Insofern gehören die Fossilvorkommen von Solnhofen-Eichstätt und Messel fortan zu den „TOP 20“ Fossillagerstätten weltweit.

Für das Vorkommen der Solnhofener Plattenkalke und die Museen im Naturpark Altmühltal hat die Auszeichnung Gewicht. Als geologisches Erbe der IUGS ist die Natursteinregion Solnhofen-Eichstätt eine IUGS-Werbestätte mit geologischen Elementen und Prozessen von internationaler wissenschaftlicher Bedeutung, die als Referenz dienen und einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Geowissenschaften leisten.

Solnhofen ist schon alleine aufgrund seines Namens und seines internationalen Rufes ein Anziehungspunkt für Gäste aus aller Welt. Dessen sind sich auch die Solnhofener bewusst. Die Bürgerschaft hat in den letzten zwei Jahrzehnten Aufgaben für die wissenschaftliche Community finanziell getragen und übernommen, die anderswo als staatliche Aufgaben und Dienstleistungen gelten. In diesem Sinne dürfen die Solnhofener Bürgerinnen und Bürger stolz sein auf ihren Beitrag zur Auszeichnung. Die Leistung der Solnhofener Bürgerschaft für die Paläontologie in Deutschland ist alles andere als eine Selbstverständlichkeit.

Am 30. Januar vergab Bayerns Staatsminister Thorsten Glauber im Spiegelsaal der Eichstätter Residenz die Urkunden an die Vertreter der Steinregion Solnhofen-Eichstätt im Beisein der Kuratoren und Kuratorinnen der Fossilienmuseen von Solnhofen, Eichstätt, Schernfeld-Harthof und Denkendorf. Keine andere Fossilienregion in Deutschland weist eine ähnliche Konzentration hochwertiger Fossilienmuseen auf wie Solnhofen-Eichstätt.


Vor dem Hintergrund der frischen Auszeichnung hat das Bürgermeister-Müller-Museum im Geo-Zentrum Solnhofen von 2. April bis zum 6. November 2023 eine Jahresausstellung installiert, in der die Fossilien von Solnhofen-Eichstätt und Messel mit zahlreichen Ikonen vereint sind. In Würdigung der prämierten Solnhofener Plattenkalke mit ihren Urvögeln und des ebenso prämierten Ölschiefers der Grube Messel mit seinen weltbekannten Urpferdchen begegnen sich die Fossilfunde aus dem 150 Millionen Jahre alten Solnhofenarchipel und dem 48 Millionen Jahren alten Messeler Maarsee zum ersten Mal im Naturpark Altmühltal in einer Ausstellung.


Messel gilt als „jüngerer Bruder“ von Solnhofen. Während Solnhofen mit terrestrischen und marinen Sauriern glänzt, öffnet Messel das Fenster weit in die evolutiv nachfolgende Welt der terrestrischen Säugetiere. Beide Lagerstätten zeichnen sich zudem durch eine außergewöhnlich gute Weichteilerhaltung vieler Organismen aus. Das hebt die Lagerstätten von anderen Fundstellen ab.

 

DSC 2395 kl

Abb. 1: Solnhofener Exemplar des Archaeopteryx, das Elzanowski 2001 als Wellnhoferia grandis beschrieben hat – mit im Bild der 3D-Ausdruck des Archaeopteryx-Skelettes. Foto vergrößern. Sammlung und Foto: Gemeinde Solnhofen.


Die Ausstellung Solnhofen-Messel besticht mit drei Originalen des Urvogels Archaeopteryx und drei Originalen der Messeler Urpferdchen. Sie umfasst den größten Archaeopteryx (Solnhofener Exemplar, Holotyp zu Wellnhoferia grandis Elzanowki, 2001), den kleinen Archaeopteryx bavarica Wellnhofer, 1993) (Holotyp zu Wellnhofer 1987) und Archaeopteryx lithographica H. V. Meyer 1861; chicken wing“ sowie aus Messel ein ausgewachsenes Urpferd, eine kleine trächtige Stute und ein Fohlen. Bei der trächtigen Stute ist sogar die Plazenta erhalten.

 

Propalaeotherium hassiacum 860px

Abb. 2: Ausgewachsenes Urpferd Propalaeotherium hassiacum aus der Geo-Erbestätte Grube Messel bei Darmstadt. Foto vergrößern. Sammlung und Foto: Interprospekt Group AG / Dr. Burkhard Pohl.

 

Die Messeler Fossilien sind vom 2. April bis 4. November 2023 im Obergeschoss des Solnhofener Bürgermeister-Müller-Museums zu sehen. In 17 Vitrinen sind außer den Urpferdchen weitere Wirbeltiere aus Messel zu sehen, die durch Veröffentlichungen als Abbildungsoriginale einen hohen Bekanntheitsgrad besitzen. Den Fischen, Schildkröten, Schlangen, Echsen, Krokodilen, Vögeln und Fledermäusen sind eigene großräumige Vitrinen gewidmet. Einen Schwerpunkt bilden vollständig erhaltene Säugetierskelette der Gattungen Ailuvarus, Leptitidium, Masillamys, Macrocranium und Eoglivarus.

Der zu den Schläfern gehörende Holotyp des „Urbilches“ Eogliravus wildi ist das einzige bekannte Exemplar seiner Art. Der Holotyp zählt zu den wissenschaftlichen Kostbarkeiten der Ausstellung. Das Naturkundemuseum Ostbayern hat zwei ausgestopfte Siebenschläfer als Rezentvergleich zur Verfügung gestellt. Auch die weiteren, zum Teil vitrinenfüllenden Exponate geben einen Eindruck, welche besondere Bedeutung die Fossilien der UNESCO-Welterbestätte „Grube Messel“ für die Stellung der deutschen Paläontologie in der internationalen Wahrnehmung besitzen.

 

„Ida“ (Holotyp, Platte B) exklusiv im PaläoZoo

Zwei Fossilien der Messeler Sonderschau sind direkt in der Dauerausstellung „PaläoZoo“ im Untergeschoss des Museums im „Ikonenraum“ der Archaeopteryx-Welten zu sehen. Dort begegnen sich Archaeopteryx und das „Urpferdchen“ Propalaeotherium hassiacum unmittelbar. Als zweiter Höhepunkt findet sich in einer eigens für die Ausstellung freigeräumten Vitrine eine Seite des Fossils des Primaten Darwinius masillae, von dem nur der Holotyp existiert. Zu diesem gehören die Platte A im Naturhistorischen Museum der Universität Oslo und die nunmehr in Solnhofen ausgestellte Platte B (Gegenplatte). Die Platte B ist in Solnhofen für sieben Monate im Original ausgestellt.

 

Darwinius kl

Abb. 3: Primat Darwinius masillae, besser bekannt als Ida, Platte B. Foto vergrößern. Sammlung und Foto: Interprospekt Group AG / Dr. Burkhard Pohl.

 

Das Fossil wurde nach der Tochter des norwegischen Wissenschaftlers Jørn H. Hurum „Ida“ benannt. Die Zuordnung von Darwinius masillae zu den Feuchtnasenaffen oder den Trockennasenaffen ist Gegenstand von derzeit laufenden Diskussionen. Unabhängig von dieser Frage ist Darwinius masillae eines der berühmtesten Fossilien der Welt. Der Holotyp ist eine unverzichtbare Primärquelle für das wissenschaftliche Studium der evolutiven Fortentwicklung der Primaten. Die Besucher des Museums können die Originale als Botschafter für die Erdgeschichte in Deutschland in Ruhe betrachten.

Ida, Urpferdchen und die übrigen Exponate der Messeler Ausstellung sind Bestandteil der Sammlung Dr. Burkhard Pohl / Interprospekt Group AG, Kooperationspartner des Geo-Zentrums Solnhofen. Vom gleichen Kooperationspartner stammen das im Ikonenraum des PaläoZoo platzierte „Drama der Urzeit“ sowie das „Archaeopteryx-Hologramm“. Beide ziehen Besucher magisch an.

 

Flugsaurier Rhamphorhynchus und Europasaurus holgeri
Auch bei der Darstellung der Flugsaurier aus dem jurazeitlichen Solnhofenarchipel gibt es eine Neuerung im PaläoZoo des Museums. Hierbei wird der Flugsaurierfund Rhamphorhynchus gemmingi v. Meyer, 1846 des Aalener Fossiliensammlers Otto Binz aus dem Hobbysteinbruch Solnhofen (Positiv- und Negativplatte) von zwei weiteren, neu ausgestellten Rhamphorhynchus-Funden umrahmt. Der eine Fund zeigt auf Positiv- und Negativplatte verteilt ein zerfallenes Rhamphorhynchus-Exemplar aus dem Solnhofener Gemeindesteinbruch; der andere kann als gerissener Rhamphorhynchus, also als Fraßrest interpretiert werden. Dort wo sich der Körper befand, klafft ein Loch in der Platte. Der lange Schwanz fehlte schon bei der Einbettung, zu sehen sind die beiden unversehrten Flugfinger mitsamt sauberen Abdrücken der ausgebreiteten Flughäute. Die neue Darstellung komplettiert die bestehende Flugsaurierausstellung

 

Schlussendlich rundet das Original des einzigartigen jurassischen Raubdinosauriers Sciurumimus albersdoerferi als Leihgabe von Raimund Albersdörfer im Jahr 2023 eine Fossilschau ab, die mit Solnhofen und Messel zwei deutsche Fossillagerstätten vereint, „die im geologischen Olymp der IUGS angekommen sind“ (Zitat, leicht verändert: Weißenburger Tagblatt, 2023).


Als thematische Ergänzung dient ein „Superblock“ mit Skelettresten von Europasaurus holgeri aus dem Mittleren Kimmeridgium des Steinbruchs Oker am Nordrand des Harzes. Die Leihgabe aus dem Dinopark Münchehagen zeigt in eindrucksvoller Weise, das Dinosaurier nicht nur auf den Inseln im Solnhofenarchipel gelebt haben, sondern schon früher auf den Jurainseln am Südrand des Niedersächsischen Beckens. Inselwelten spielten letztendlich eine große Rolle im Oberjura von Mitteleuropa – übrigens auch vor 48 Millionen Jahren, als Messel in einem europäischen Inselarchipel lag.

 

Dank und Ausblick

Ein ganz besonderer Dank gilt Dr. Burkhard Pohl /Interprospekt Group AG, für die Ausstellung und die Bereitschaft, Ida zur Verfügung zu stellen. Dr. Stephan Schaal vom Forschungsinstitut Senckenberg in Frankfurt gebührt Dank für seinen Eröffnungsvortag in Solnhofen am 2. April 2023. Die Bayerische Staatssammlung ist dankenswerterweise mit dem Original der Gegenplatte des Holotyps von Archaeopteryx bavarica vertreten. Raimund Albersdörfer gilt der Dank für die langjährige Treue zum Museum, und die Möglichkeit, den Sciurumimus im Original zeigen zu können. Ein weiterer Dank gilt Manfred und Gusti Zapp aus Erlangen, die dem Museum eine kleine Sammlung von Messeler Originalfossilien geschenkt haben. Die beiden Freunde, Fossiliensammler des Jahres des Museums anno 2022, gehören zu den Siemens-Fossilienfreunden, die früher die Forschung in Messel auch mit eigenen Ausgrabungen und technischen Geräten unterstützt haben.

Fossiliensammler des Jahres 2023 ist Paul Jakob als jüngster Nachwuchspaläontologe im Verein der Freunde und Förderer des Bürgermeister-Müller-Museums Solnhofen. Ihm ist eine Sondervitrine gewidmet. Das Team des Solnhofener Museums stellt die Originalfossilien ganz bewusst in den Vordergrund, weil es immer wieder vor Ort erfährt, dass junge Menschen, die selbst einmal ein Fossil entdecken, in der Hand halten und auch präparieren, einen guten Zugang zur Paläontologie finden. Mit der Jahresausstellung „Urpferdchen trifft Urvogel Archaeopteryx und mit der Präsentation von Ida bietet Solnhofen die einmalige Gelegenheit, an historischer Lokalität der Archaeopteryxsaga den prämierten paläontologischen Geo-Welterbestätten mit ihren unvergleichlichen Fossilfunden die gebührende Achtsamkeit entgegenzubringen.

 

Weitere Informationen auf der Website des Museums

Informationen zu Lage/Anfahrt, Eintrittspreisen und Öffnungszeiten des Bürgermeister-Müller-Museums finden Sie unter www.museum-solnhofen.de

 

 

Martin Röper

(Wissenschaftlicher Direktor und Kurator Geo-Zentrum Solnhofen)

 

 


 

Feedback zum Artikel bzw. zur Ausstellung im Steinkern.de Forum:

https://forum.steinkern.de/viewtopic.php?f=3&t=36245&p=327456