Nordrhein-Westfalen

Ein bemerkenswerter Aufschluss im Santon des Ruhrgebiets

Temporäre Baustellen - wie die hier vorgestellte ehemalige Kanalbaustelle in Herne - eröffnen hin und wieder einen Einblick in die Oberkreide des Ruhrgebiets. Da es in der Region keine dauerhaften Aufschlüsse mehr gibt, ist man ausschließlich auf solche Baumaßnahmen angewiesen. Die Ziegeleien der Umgebung sind schon in den 70er Jahren des 20 Jahrhunderts geschlossen und verfüllt worden.                                       
Ich möchte den Leser nun mitnehmen um auf den Spuren von Clemens August Schlüter zu wandeln, der im neunzehnten Jahrhundert die Oberkreide im Revier studierte, und Helmut Arnold, der im Jahre 1964 die Gesteine des unteren Santon in den nahegelegenen Ziegelgruben Herne-Holsterhausen und der Zeche Shamrock erforscht hat.   

 

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Die mit Betonpfählen verbaute Grube war bis auf eine Tiefe von 12 Metern abgeteuft.

 

Die Aufschluss-Situation ließ bedauerlicherweise keine Beobachtungen im Anstehenden zu, so blieb lediglich die Suche nach Fossilien auf den Bergehalden im Hintergrund,  Aus diesem Grund lässt sich leider keine genaue stratigraphische Einstufung erstellen.

 

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Bergehalde mit dem „Emschermergel“ des mittleren und oberen Santon.

 

Die hier besammelten Gesteine gehören ins mittlere und obere Santon. Sie sind sich recht ähnlich,und zeigen sich überwiegend als graue sandige Tonmergel mit einigen harten Kalklinsen. Das Santon streicht im Ruhrgebiet auf einer Linie von Oberhausen über Waltrop sowie weiter in Richtung Hamm und Lippstadt, nach Süden hin aus.

 

Als Leitfossil gelten Muscheln die zur Familie der Inoceramidae gehörenden; Inoceramus cordiformis (Sowerby) sowie Inoceramus patootensiformis (Seitz),  sie sind auch namensgebend für Zonen des mittleren und oberen Santon. Schalenfragmente lassen auf eine Größe von bis zu 60 cm schließen. Da an dieser Stelle zahlreiche Gastropoden und Pflanzenfossilien,sowie ein erratisches Geröll gefunden wurden, kann hier von einer küstennahen Flachwasserfazies ausgegangen werden.
Viele Fossilien sind mäßig bis stark verdrückt, Schnecken und Pflanzenreste sind zum Teil pyritisiert. Bei vielen Fossilien - etwa bei Ammoniten, Nautiliden und Gastropoden  - sind die Steinkerne mit einer feinen Aragonithaut erhalten. Der überwiegend feinsandige Tonmergel ermöglichte eine relativ leichte Präparation im bergfrischen Zustand der Fossilien.

 

Lamellibranchiata:

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Besonders attraktiv ist diese rechte Klappe einer Inoceramus patootensiformis (Seitz), 5 cm. Sie trägt - rechts oben im Bild zu sehen - noch ihren Flügel am Schlossrand.

 

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Inoceramus cordiformis (Sowerby), 4,5 cm.
 
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Inoceramus rhomboides (Seitz), 14 cm.
 
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Pholadomya decussata (Mantell), 4,2 cm. Diese mit beiden Klappen erhaltene Muschel ist quer zur Klappenebene verdrückt, was ihr das Aussehen eines berippten Herzens gibt.

 

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Glycimeris geinitzi (D’Orbigny), 2,2 cm.
Gastropoden:

Bemerkenswert ist die große Artenfülle und Individuenanzahl von Gastropoden am Fundort.
Die häufigsten sind die Aporrhaidae.
Diese Gastropoden weisen einen charakteristischen Flügel an der Außenlippe der Mundungsöffnung auf, weshalb sie auch Flügelschnecke oder Pelikanfuß genannt werden.

 

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Aporrhais reussi (Reuss), 3,6 cm.
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Aporrhais stenoptera, 3,7 cm.
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Aporrhais substenoptera (Müller), 3,6 cm.

 
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Aporrhais megaloptera
(Reuss), 3,8 cm.

 

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Lunatia geinitzi
(D’Orbigny), 3,8 cm.

 

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Natica cretacea
(Goldfuss), 1,8 cm.
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Turritella nodosa (Roemer), 4 cm.

 

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Volutolithes subsemipilcata
, (D’Orbigny), 4,5 cm.

 

Nicht selten fanden sich ganze Nester mit Schneckengehäusen auf engstem Raum.
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Schneckennest, 4 x 5,5 cm.

 

Als besondere Seltenheit möchte ich hier diese Napfschnecke Brunonia grandis (Müller) vorstellen. Die Zuordnung zu einer bestimmten Familie ist nach wie vor unsicher. Dieser zur Unterordnung der Patellinae gehörende Gastropode benötigte unbedingt einen Hartgrund an dem er sich fest setzen konnte, da hier aber keine Gerölle oder ein entsprechendes Substrat vorliegen, nehme ich an ,dass sie eingespült wurde.

 
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Brunonia grandis (Müller) 2,2 cm.

 

Cephalopoden:


Als Nautiliden sind hier zu nennen einige wenige schlecht erhaltene Steinkerne in sehr feiner Aragoniterhaltung. Die zur eindeutigen Bestimmung notwendigen Suturlinien fehlen hier. Jedoch kann sich die Bestimmung dieser Nautiliden wegen der Gattungs- und Artenarmut im Santon auf Eutrephoceras sp. und bei berippten Arten auf Cymatoceras sp. beschränken.

 

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Eutrephoceras sp., 4,5 cm.
 
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Unbestimmter Cephalopode, ca, 2,5 cm.
 
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Forresteria cf. (Harleites) petrocoriensis (Coquand), ca. 12 cm.

 

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Sutur
 

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Zweiter unbestimmter Ammonit, auf dem Phragmokon ist deutlich die Sutur (Lobenlinie) erkennbar, jedoch ist mir aufgrund von mangelnden Vergleichsstücken die Artbestimmung noch nicht gelungen, Größe: 6 cm.

 

Heteromorphe Ammoniten sind im Ruhrgebiet allgemein selten, so freue ich mich hin und wieder wenigstens den einen oder anderen Beleg solcher „Sonderformen“ zu finden.
 
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Baculites incurvatus (Dujardin), 5,3 cm.
 
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Scaphites inflatus (Roemer), 4 cm.

 

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Entrollter Ammonit Glyptoxoceras crispatum (Collignon) 4,5 cm.

 

An Belemniten lieferte dieser Aufschluss nur kleinwüchsige Rostren von Actinocamax verus (Miller).

 

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Zwei Exemplare von kleinwüchsigen Belemniten; Actinocamax verus 3,2 u. 3,7 cm.

 

Echinodea:
Seeigel sind hier hauptsächlich mit disartikulierten Gehäuseplatten gefunden worden, was die Bestimmung nahezu unmöglich macht. Lediglich drei Exemplare ließen anhand der Gehäusemorphologie eine Bestimmung zu. Dazu zählten Micraster coranguinum, Cardiaster jugatus und aff. Diplodetus sp.

 

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Cardiaster jugatus (Schlüter), 7,6 cm.

 

Reguläre Seeigel konnten nur durch vereinzelte Stacheln nachgewiesen werden.

 

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Cidaris Stachelfragment 1,2 cm.

 

Vermes:

Nicht selten konnten Wohnröhren von Würmern aufgesammelt werden.
Auf der nächsten Abbildung ist ein Terebella-Gang mit seinen typischen Spuren zu sehen. Bei der hier vorliegenden Ausfüllung erkennt man deutlich die Spuren, die von der Oberfläche des Wurms hinterlassen wurden. Am Boden des Ganges sammelten sich Fraßreste in Form von zahllosen Fischschuppen und Gräten an, die sich heute als braun glitzernde Residuen zeigen.

 

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Terebella-Grabgang, 12 cm.

 

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"Bodenbelag" aus Fischresten.

 

Crinoidea:

Der einzige Fund eines Crinoidenkelches aus der Oberkreide, der mir je gelungen ist, stammt von dieser Fundstelle.
 
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Bourgueticrinus elipticus (Miller) 0,8 cm.

 

 

Crustacea:

Krebsreste waren mir ebenfalls von vorherigen Fundstellen im Ruhrgebiet kaum bekannt, umso erfreuter war ich, als ich die auf dem nächsten Bild gezeigte Schere in einem sehr großen Block entdeckte. Die Bergung gestaltete sich jedoch sehr schwierig, weil die Auffindeposition der Schere seitlich an der Unterseite eines großen Geröllbrockens leicht in den Wiesenuntergrund gedrückt war. Bei jedem Hammerschlag rutsche der Block tiefer und tiefer in die Wiese. Leider sind bei der Bergung einige bereits angelöste Fragmente verloren gegangen. Der schlanke Scherenballen und die langen Scherenfinger lassen eine Bestimmung in Richtung Enoploclytia sp. zu.

 

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Enoploclytia sp. Scherenhand 5,5 cm.

 

Flora:

Wie eingangs bereits erwähnt, handelt es sich bei den Sedimenten dieser Fundstelle um küstennahes Material. So ist es nicht verwunderlich, dass sich auch vereinzelt Blätter bzw. kleine Zweige von Landpflanzen finden ließen. Auch hier gestaltet sich die Bestimmung wieder schwierig, da nicht ausreichend Material zur Verfügung steht. Klar ist auf der einen Seite, dass es sich um belaubte Pflanzen handelt, die wie heutige Blätter eine Nervatur zeigen. Ein kleiner Trieb einer Geinitzia sp. belegt die Anwesenheit von Mammutbäumen.

 

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Hier ist deutlich die Nervatur des Blattes zu erkennen.

 

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Blatt cf. Credneria sp.

 

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Trieb Geinitzia sp., 2 cm.

 

Foraminiferen:
Immer wieder erschienen während der Präparation der Stücke auf den Bruchflächen Foraminiferen. Die meisten waren selbst unter dem Binokular lediglich als unförmige Verdickungen zu erkennen, Andere wiederum glänzten mit glatten Gehäusen - von diesen konnte ich einige isolieren. Am häufigsten traten Lenticulina orbicularis (D’Orbigny) hervor. Ihre gekielten Gehäuse zeigen  innere Kammern mit leicht gebogener Sutur. Faszinierende Kleinode die wie winzige Ammoniten anmuten.

 

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Foraminiferen auf einer ein Cent Münze; links Lenticulina orbicularis.

                        

Bericht & Fotos von Karl Stekiel


Weitere Literatur zum Thema Oberkreide des Ruhrgebiets:

Stekiel, K. (2011): Fossilien des Ruhrgebietes - Teil 1: Einführung und Seeigel, Der Steinkern, Heft 7, S. 27-45.