Frankreich

Die Kreideküste bei Escalles (Nord-pas-de-Calais)

Die Alb-/Cenoman-/Turon-Fundorte im so genannten Boulonnais am französischen Küstendorf Escalles, ca. 15 Kilometer südlich von Calais am Ärmelkanal gelegen, habe ich angeregt durch eine Empfehlung von Sönke Simonsen vor fünf Jahren erstmals besucht. Der Gezeiten und der damit verbundenen Sandablagerungen wegen sind die Sammelbedingungen hier zwar recht schwankend, aber eine Reise hierher lohnt sich immer, weil man hier schöne Wanderungen entlang der Küste unternehmen kann, auch gut essen und trinken, und weil in der näheren Umgebung weitere Fossilien-Fundstellen locken (in einem späteren Beitrag mehr dazu).

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Bild 1: Das Cap Blanc Nez vom Land aus gesehen: Herrliche Spaziergänge entlang der Küste sind zu jeder Jahreszeit möglich.

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Bild 2: Das Cap vom Meer aus betrachtet: Markant ist das Ehrenmal auf der immerhin 132 Meter hohen Bergspitze.

Obacht: Eine Suche bei Escalles ist immer nur für gut vier Stunden bei Niedrigwasser möglich; zur eigenen Sicherheit sollte man daher die Gezeiten (franz.: les marees) beachten. Gezeitentabellen gibt es im Touristenbüro im Nachbarort Wissant; man kann sie sich praktischerweise aber auch vor Reiseantritt aus dem Internet herunter laden (www.meteoconsult.fr). Dann weiß man auch schon, ob man nach mehrstündiger Anfahrt am Nachmittag oder am frühen Abend noch einen ersten Sammelspaziergang machen kann...
Beste Zeit für einen Sammeltrip nach Escalles ist die Vor- und Nachsaison, also Frühjahr und Herbst, weil dann die See rauer ist, wodurch immer neue Stücke aus der Kreide-Steilküste und den vorgelagerten Schichten herausgespült werden, die "Sammlerkonkurrenz" nicht so groß und auch die Unterkünfte billiger sind (Informationen zu einem Zimmer mit Frühstück direkt in Escalles zum Beispiel unter http://www.lechatperche.fr/ oder unter http://www.chambres-hotes-blanc-nez.com).
Aber selbst im Sommer (wo man auf dem Campingplatz in Escalles direkt an der kleinen Straße zum Strand preiswert übernachten kann) findet man immer etwas; Ebbe und Flut sorgen schon dafür... Wichtig: Die Arbeit mit Hammer und Meißel ist verboten; gegen das Aufsammeln hat aber niemand etwas.

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Bild 3: Bestes Sammelwetter bei beginnendem Niedrigwasser; Blick vom Strandzugang bei Escalles Richtung Süden/Touristenort Wissant.

Die Fahrt zum Fundort: Von der Autobahn 16 die Abfahrt Nummer 40 (Cap Blanc Nez) nehmen, dann auf der D 243 Richtung Peuplingues/Escalles. In Escalles geradeaus über die Kreuzung und in einer Linkskurve nach rechts abfahren ("la plage"). Am Ende der Straße gibt es einen Parkplatz, von dem ein betonierter Fußweg das Steilufer hinunter an den Strand führt. Wo sich der Weg an einem alten Bunker (übrigens ein idealer Platz für ein Abendessen im Sonnenuntergang) gabelt, nach links gehen und eine kleine Treppe runter zum Strand. Im Strandgeröll und -kies zehn Meter vor der Kreidewand liegen unzählige Pyritkonkretionen, stab- und kugelförmig, allerdings selten Fossilien.

Das erste interessante Sammelziel erreicht man ca. 50 Meter weiter links, ungefähr 20 Meter vom Steilufer entfernt: Eine von Furchen durchzogene, rund 15 Meter breite Felsbank, die je nach Sandablagerung 100 bis 200 Meter parallel zur Küstenlinie verläuft. Die 20 Zentimeter breiten und zehn bis 15 Zentimeter tiefen Rinnen im Gestein wirken wie ein Ammonitensieb; jedenfalls sammeln sich hier drin immer wieder Pyrit-Ammoniten mit einem Durchmesser von vier Millimetern bis zu drei Zentimetern, darunter Hysterocers orbignyi, Mortoniceras pricei und  Euhoplites cantianus, auch Hamites sowie Protanisoceras sp.

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Bild 4: Die Felsbank vor dem Steilufer ist zerklüftet und wirkt wie ein Fossilien-Sammelsieb. Wenn hier noch die Sonne scheint, kan man stundenlang in den Pfützen und kleinen Tümpeln wühlen - ideal für Familien mit Kindern.

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Bild 5: Typische Fundsituation: Wo so viele Pyritstückchen herumliegen, ist häufig auch ein Ammonit zu finden - wenn oft auch nur so groß wie Cent-Münzen. In solchen Pfützen lohnt es sich fast immer, ein wenig zu wühlen und zu spülen.

Wenn das Wasser nicht zu kalt ist oder man vorsorglich Gummihandschuhe mitgenommen hat, lohnt sich auch das "Spülen" dieser Rinnen und kleinen Wasserbecken. Die Fundmöglichkeiten sind natürlich abhängig davon, ob und wieviel Sand auf der Sohle abgetragen wurde. Vor zwei Jahren war diese Gesteinsbank überhaupt nicht sichtbar, dafür trat das Gestein an einer anderen Stelle am Strand weitere 100 Meter Richtung Südwesten zutage. Im letzten Frühjahr dagegen war fast die ganze Bank frei - und meine Frau und ich konnten uns über schöne Funde freuen.

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Bild 6: Die Sammelausbeute eines kurzen Vormittagsspaziergangs.

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Bild 7: Protanisoceras, Hamites und unbekannte Verwandte.

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Bild 7.1: Euhoplites cantianus

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Bild 7.2: "Traktorreifen" hat meine Tochter dieses Fundstück genannt; eine nähere Bestimmung fällt mir schwer; ein Euhoplites

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Bild 7.3 Eines meiner schönsten Stücke: Euhoplites cantianus in Pyrit und perlmuttschimmernde Schale, knapp drei Zentimeter breit.   

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Bild 8: Klein, aber fein: Diverse pyritisierte Ammoniten, die noch auf genauere Bestimmung warten.

Gute Funde verspricht die Suche im Kreidegeröll des Steilufers. Auch hierfür links (südwestlich) vom Bunker halten und allzu große Nähe zur Abbruchkante des Kliffs meiden. Ich habe im Frühjahr einmal erlebt, wie das ist, wenn mal eben zwei Kubikmeter Fels abkrachen ­- glücklicherweise war ich 20 Meter weit entfernt... Es geht auch viel sicherer, denn das Steilufer zieht sich mehrere Kilometer weiter Richtung Süden, also Richtung Urlaubsort Wissant: Etwa 800 Meter weit vom Bunker weg haben Felsabstürze und Erdrutsche das Steilufer abgestuft, so dass man hier mehr oder weniger gefahrlos sammeln und suchen kann. Hier, wo Geröll und Sand ineinander übergehen, werden nicht nur kleinere Pyritammoniten, Seeigelstacheln, kleine Belemniten (Hibolithes sp.) und die Bivalve Birostrina sulcata herausgewaschen, sondern auch der Seeigel Micraster (genauere Bestimmung leider nicht möglich), die Gastropoden (Jurassiphorus fittoni) und recht häufig Schnecken (Pleurotomaria sp.). Ebenso fix und fertig präpariert finden sich oft auch Schwämme (Plocoscyphia meandrina, Exanthesis meandrina).

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Bild 9: Im Kreidegröll lassen sich ohne große Mühe schöne Stücke finden: Seeigel Micraster leskei (o.l.), zerdrückter Ammonit Calycoceras hariculare (o.r.), ein (leider unvollständiger) Turrilites sp. (u.l.), der Ammonit Schloenbachia varians (u.r.) und der hier sehr häufige Schwamm Exanthesis meandrina (Mitte).

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Bild 10: Herausgewaschene Fossilien aus der Spülzone vor dem abgebrochenen Steilufer: Pleurotomaria sp. (obere Reihe links und rechts), Nautilus bouchardianus (obere Reihe Mitte), Birostrina sulcata (unten rechts) sowie Bruchstücke, von (?) Turrilites costatus.
 
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Bild 11: Jurassiphorus fittoni: Ein wunderschön klingender Name für wunderschöne Fossilien, die man ebenfalls vor dem Steilufer-Abbruch fix und fertig präpariert finden kann.

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Bild 12: Hibolithes sp. sind keine Seltenheit.

Es lohnt sich auch, die Brocken genauer zu untersuchen, denn oft schauen die Rippen eines Ammoniten heraus, etwa von Schloenbachia varians, Calycoceras naviculare oder Mantelliceras saxbii; diese Tiere sind allerdings nur Kreide-in-Kreide erhalten und daher recht zerbrechlich. Dafür ist das Präparieren denkbar einfach: Einfach mal im Regen liegen lassen - irgendwann zerfällt der Klumpen und offenbart seinen eingelagerten Schatz. Einen Turrilites sp. fand ich so in einem Klumpen, den ich eigentlich schon auf meinem Fossilien-Friedhof im  Garten entsorgen wollte...

Blickt man von dieser Stelle am abgebrochenen Steilufer aus Richtung See, entdeckt man bei Ebbe Felsformationen, die sich mal stärker und mal schwächer ausgeprägt an der Wasserlinie entlang ziehen. Hier habe ich einige sehr schön erhaltene Stücke gefunden: Die Ammoniten Euhoplites ochetonotus, Dipoloceras cristatum, Hoplites dentatus, Anahoplites planus oder Lamberticeras lamberti. Bruchstücke davon finden sich immer, teilweise wunderschön perlmuttschimmernd, oft mit sehr gut sichtbarer Lobenlinie. Es lohnt übrigens auch, größere, eher unförmige und auf den ersten Blick wenig interessante Bruchstücke mit nach Hause zu nehmen: Beim Präparieren (knallhartes Material!) offenbaren sich manchmal wunderschöne, wenn auch kleine Ammoniten. Ammoniten dieser Art finden sich auch auf einer Sandbank, die ungefähr 30 Meter vor dem oben beschriebenen Bunker verläuft.

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Bild 13: Dimorphoplites sp., vermute ich, in hübsch schimmernder Erhaltung.

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Bild 14: Anahoplites planus glaube ich hier gefunden zu haben.

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Bild 15: Ein bizarrer Vertreter, ich vermute Hoplites paronai, der sich im Felsband, das nur bei totaler Ebbe begehbar wird, verborgen hatte.

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Bild 16: Auch die Bruchstücke von Ammoniten mit ihren ausgeprägten Lobenlinien sind lohnenswerte Funde; laut Bestimmungsbuch könnte es sich beim oberen Stück um Placenticeras meeki handeln.

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Bild 17: Verrostet und mit Anhang: Stücke, die unterschiedliche chemische Prozesse bei der Wandlung zum Fossil durchgemacht haben, sind für mich von besonderem Reiz.

Hält man sich, wenn man den Fußweg zum Steilufer herunterkommt, am Bunker rechts, bietet sich ein schöner Spaziergang Richtung Sangatte an. Am Fuß der Steilküste soll man größere Kalk-Ammoniten finden können; für meinen Geschmack war das allerdings zu gefährlich - die Klippen unterhalb des weithin sichtbaren Ehrenmales in Form eines Obelisken sind verdammt hoch, die runtergefallenen Brocken viele Tonnen schwer. Allerdings bietet es sich an, in respektvollem Abstand zum Steilufer am Strand zum Urlaubsort Sangatte weiter zu spazieren (Gezeitenkalender beachten!), wo im Kies der Seeigel Conulus sp. in Feuersteinkernerhaltung auf den aufmerksamen Sammler warten soll - ich habe ihn allerdings nicht angetroffen...
 
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Bild 18: Wenn die Flut kommt, sollte man tunlichst vom Strand verschwunden sein. Blick vom Strandzugang bei Escalles an den Klippen entlang Richtung Norden/Sangatte.

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Bild 19: Drei Stücke, die mir Rätsel aufgeben: Links ein Feuersteinbrocken mit einem Spinnen- oder Seesterntier, in der Mitte etwas Zusammengerolltes und rechts eine Kugel, aus der schnabelartig (vielleicht) ein Muschelstück herausragt.

Die Einordnung und die Bestimmung der Funde bereiten mir immer noch große Mühe. Daher bitte ich, was die fachlichen Angaben angeht, um Nachsicht (und ausdrücklich um Verbesserung). Ich habe bislang keine (bezahlbare) deutsche Fachliteratur zum Boulonnais gefunden und bin somit auf französische Quellen angewiesen. Und so gut ist meine Französisch nun auch nicht... Wer Informationen zur Phosphat-Fauna des Boulonnais hat, möge sie mir angedeihen lassen. Immerhin gibt es einige interessante Seiten im Internet, die die Fossilien von Escalles und die geologischen Zusammenhänge näher erläutern, was natürlich hilfreich beim Bestimmen ist. Nachfolgend ein paar Links:

http://jdziudzia.free.fr/geol/geologie.html
http://www.geologie-info.com/articles.php?Article=CapBlancNez
http://www.paleomania.com/album-1105018.html  (besonders gute Fotos!)

Und schließlich dieser Link - http://escallescapblancnez.free.fr/ - mit den offiziellen touristischen Hinweisen zu Unterkunft - und gutem Essen. Denn was nützt der schönste Sammelerfolg, wenn man ihn nicht gebührend feiern kann... Etwa ohne Zeitverzug in Escalles im Restaurant an der Einfahrt zum Campingplatz direkt an der Straße zum Strand. Ich empfehle nicht nur die trockenen Weine und die Muscheln auf der Speisekarte, sondern auch die hier ausgestellten, riesigen Ammoniten zur besonderen Beachtung.

Text und Bilder: Kurt Hoeppe