Baden-Württemberg

Die Korallenfazies der Mergelstetten-Formation

Kurzfassung

Wer im Riffschutt der bekannten Korallenfundstellen bei Nattheim und Gerstetten sammelt, dem werden bald die Schwächen des stratigrafischen Schemas von F. A. Quenstedt bewusst. Auch die Epigonen des Tübinger Geologen sind mit der Gliederung des obersten Oberjura auf der mittleren und östlichen Schwäbischen Alb nach dem griechischen Buchstaben Zeta 1 bis Zeta 3 gescheitert. Sie hatten nicht erkannt, dass die Liegende Bankkalk-Formation und die Zementmergel-Formation keine altersmäßig verschiedenen Schichten sind, sondern lediglich verschiedene Fazien. In der neueren Literatur werden die beiden Formationen deshalb zu einer einzigen zusammengefasst, nämlich zur Mergelstetten-Formation. Zu dieser Formation gehören auch die weniger bekannten Korallenriffschuttbänke bei Blaubeuren, denen der nachfolgende Beitrag gilt.


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Die Korallenfazies der Mergelstetten-Formation

 

Sammeln und Verstehen – Eine Stunde im Riffschutt bei Blaubeuren

Von Dr. Michael Ammich, Leipheim

 

Weniger bekannt als die berühmten Korallenfundstellen bei Nattheim und Gerstetten sind die Korallenriffschuttbänke bei Blaubeuren. Diese wie jene gehören zur obersten Schicht des Oberjura auf der östlichen und mittleren Schwäbischen Alb.



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Abb. 1: Korallenfazies bei Blaubeuren.

 

Noch vor wenigen Jahren wurden die komplexen Verzahnungen von Massenkalk-, Korallenkalk- und Bankkalkfazien sowie von Mergeln noch in die Liegende Bankkalk- und die Zementmergel-Formation unterteilt. Erst im Jahr 2003 hat die Subkommission für Jurastra-tigaphie der Deutschen Stratigraphischen Kommission die beiden Formationen zu einer einzigen zusammengefasst, nämlich zur Mergelstetten-Formation. Benannt wurde die neue Formation nach dem Ort Mergelstetten bei Heidenheim, wo in einem Steinbruch das Typusprofil aufgeschlossen ist.

 

In den älteren geologischen Karten der mittleren und östlichen Schwäbischen Alb findet sich für die oberen Schichten des Oberjura vielfach noch die Bezeichnung tiL für die Liegenden, tiH für die Hangenden Bankkalke und tiZ für den Zementmergel. Nachdem jedoch weder die Liegende Bankkalk-Formation noch die Zementmergel-Formation von ihrem Alter her zum Tithonium gehören, griffen die Geologen auf neue Kürzel für die betreffenden Schichten zurück: ki4 und ki5. Für die Hangenden Bankkalke wurde das Kürzel ti1 gewählt.

 

Wie kam es zu dieser verwirrenden Situation? In der Schwäbischen Alb wurde für die stratigrafische Gliederung lange das Schema von Friedrich August QUENSTEDT (1809 – 1889) herangezogen. Der Tübinger Geologe schuf ein System, nach dem die Schichten in die griechischen Buchstaben Alpha bis Zeta unterteilt waren. Die Schwamm- und Korallenriffe des oberen Oberjura auf der östlichen und mittleren Schwabenalb ordnete QUENSTEDT in den Weißjura Epsilon ein. Auch Theodor ENGEL stellte die Korallenkalke um Nattheim und Gerstetten in den Malm Epsilon. Später wurde das Quenstedtsche Schema gar noch auf die Fränkische Alb übertragen. So kam es, dass bezüglich der Fazies völlig verschiedene Gesteinseinheiten in Schwaben und Franken unter Weißjura Zeta 1 bis Zeta 3 eingegliedert wurden. Alsbald stellte sich jedoch heraus, dass diese Schichten im Fränkischen und Schwäbischen Jura weder von ihrer Beschaffenheit noch von ihrem Alter her vergleichbar sind.




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Abb. 2: Typisches Riffschutt-Handstück aus der Korallenfazies der mittleren Schwäbischen Alb. Handstück ca. 10 cm.

 

„Für die notwendige Verständigung in Fachkreisen ist es unerlässlich, diese Formationen sauber und unmissverständlich zu definieren“,, wie SCHWEIGERT und FRANZ (2003) schreiben. „Sie müssen leicht erkennbar und sinnvoll gegen benachbarte Einheiten abgegrenzt sein, um auf geologischen Karten flächenhaft dargestellt werden zu können.“ Durch die Einführung der neuen Mergelstetten-Formation wurde dieser Schritt vollzogen. Die Basis der Liegenden Bankkalk-Formation und der Hangenden Bankkalk-Formation sind durch Diskontinuitätsflächen unterscheidbar. Dagegen sind die Liegende Bankkalk-Formation und die Zementmergel-Formation nichts anderes als unterschiedliche Fazien, die sich altersmäßig nicht voneinander trennen lassen.

 

Die Mergelstetten-Formation, zu der die Korallenfazies bei Blaubeuren, Gerstetten und Nattheim gehört, beginnt mit Kalkmergeln über dem reinen Kalkgestein der Oberen Felsenkalk-Formation, die nach der Quenstedtschen Gliederung zum Weißjura Epsilon gehört. Abgesehen von den Korallenriffschuttbänken erweist sich die Mergelstetten-Formation als arm an größeren Fossilien. Biostratigrafisch gehört sie in die ulmense-Subzone der beckeri-Zone. Im Korallenkalk, der auf den Feldern der östlichen und mittleren Schwäbischen Alb aufgeschlossen ist, wird man die Ammoniten Lithacoceras ulmense und Hybonoticeras beckeri jedoch kaum finden. In dieser Fazies treten vor allem die fossilen Überreste von Korallen, Seelilien, Bivalven, Gastropoden, Brachiopoden, Schwämmen und Seeigeln auf. Ammoniten sind höchst selten.






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Abb. 3: Nach einer Stunde Sammeln auf einem
Acker im Korallenkalk bei Blaubeuren und drei
Tagen im Säurebad…

 

So machen wir uns also auf den Weg zu den frisch gepflügten und abgeregneten Äckern südlich der würrtembergischen Stadt Blaubeuren und haben dabei im Kopf, dass wir uns weder in QUENSTEDTS Weißjura Epsilon noch im später postulierten Malm Zeta befinden,sondern in der Korallenfazies der Mergelstetten-Formation. Wir parken unser Fahrzeug am Waldrand neben einem Korallenacker und schreiten die kahlen Schollen mit den Stoppelresten ab. Überall liegen kleine Riffschuttsteine herum, aus der Erde ragen braungelbe Platten mit zahllosen eingelagerten Fossilresten: Hier die scharf gezackten Schalenreste der Auster Arctostrea gregarea, dort die Hälfte eines Brachiopoden, dazwischen die Ambulakralplatte eines Seeigels und das Stielglied einer Seelilie. Alle Fossilreste sind verkieselt, was uns später zuhause bei der Präparation noch nützlich sein wird. Wir müssen die Riffschuttstücke nämlich lediglich in Säure einlegen und können bequem dabei zusehen, wie sich die kalkigen Krusten auflösen und die säureresistenten Fossilien freiliegen.






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Abb. 4: Torquirhynchia speciosa MUENSTER
1839. 50 mm.

 

Freilich birgt nicht jedes Stück Gestein eine Koralle oder einen Seeigelrest, aber unsere Augen erkennen bald, welche Steine Fossilien enthalten: Jene, auf denen gezackte Kreise, längliche Linien und andere Strukturen ein ganz klein wenig aus dem Kalk ragen. In Säure gelegt, kommt die ganze Pracht der Korallenstöckchen nach und nach zum Vorschein. Dass einige der aufgesammelten Steine dann nur die Bruchstücke von Seeigeln oder Brachiopoden freigeben, soll uns nicht weiter stören. Allein schon das Zusehen beim Ätzen ist recht spannend…






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Abb. 5: Hälfte eines Plegiocidaris crucifera
AGASSIZ 1840. 40 mm.

 

Das langsame Schlendern über den Acker lässt uns Zeit zum Nachdenken, es schult
unseren Blick für das Kleine, Unscheinbare und lässt uns die warme herbstliche Sonne genießen. Nach und nach füllt sich unser Eimer mit Riffschutt-Handstücken, mit den Resten einer lichtdurchfluteten, seichtwarmen Unterwasserwelt, in der damals wie heute eine ungeheure Vielfalt an Arten um die Schwämme und Korallen zog.





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Abb. 6 : Stöckchen mit Thecosmilia trichotoma EDWARDS & HAIME 1848. 54 mm.

 

Am meisten freut sich der Sammler natürlich, wenn er einen Korallenstock entdeckt. Fast in jedem größeren Gesteinsstück auf dem Acker lassen sich die Reste von Korallen ausma-chen, doch zum Finden eines komplett erhaltenen Stocks gehört noch immer Glück. Oft stellt sich beim Ätzen heraus, dass die Korallen nur unvollständig erhalten sind





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Abb. 7: Montlivaltia obconica MUENSTER 1829. 34 mm.

 

Zu den häufigsten Funden auf den Korallen-äckern bei Blaubeuren gehören die Reste und etwas seltener auch die vollständig erhaltenen Exemplare von Montlivaltia obconica. Zuweilen lassen sich faustgroße Belegstücke dieser Korallenart finden. Am Kelchrand sind die Septen oben gezähnelt, die Septenflächen weisen feine Körnchen auf.


Neben den Korallen und ihrer Begleitfauna finden wir auf unserem Acker auch zahlreiche Spurenfossilien. Dazu gehören die Bauten von Röhrenwürmern, Grabgänge von Krebsen und die verkieselten Ausscheidungen von Tieren.







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Abb. 8: ?Complexastrea sp., 46 mm.

 

Die Bestimmung der Korallen kann nur annäherungsweise erfolgen. Zu Beginn der wissenschaftlichen Systematik wurden die Korallen nach äußeren Merkmalen in Arten eingeteilt. Heute wird für die Systematik der innere Aufbau der Korallenskelette herange-zogen.





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Abb. 9: Cyathophora bourgueti DEFRANCE 1826. 53 mm.





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Literatur

BENZ, Wolfgang (1979): Die Korallen des oberen weißen Jura der Schwäbischen Alb, Eglofs/Argenbühl.


SCHWEIGERT, Günter & FRANZ, Matthias (2003): Die Mergelstetten-Formation, eine neue Gesteinseinheit im Oberjura der östlichen bis mittleren Schwäbischen Alb, in: Jahreshefte und Mitteilungen des Oberrheinischen Geologischen Vereins, N.F. 86, S. 325 – 335.