Paläogen, Neogen und jünger

Geschichte eines bemerkenswerten Langschwanzkrebses aus dem Geschiebe

Funde von Langschwanzkrebsen, auch einzelne Carapaxe oder Teile des Abdomens, sind im Geschiebe immer etwas Besonderes, unabhängig vom Zeitalter des Geschiebes aus dem sie entstammen. Dies gilt umso mehr für Stücke, die einen Blick auf das gesamte Tier ermöglichen. Fossile Decapoden, die Carapax in Verbindung mit Abdomen sowie die  Peraeopoden (Hauptscherenpaar) und mehr zeigen, sind absolute Geschiebe-Highlights und nur sehr vereinzelt gefunden worden. Mir fällt da insbesondere ein Stück in der Sammlung von Tassadia ein.
Über ein Stück, welches neben dem schon erwähnten sogar die Antennen aufweist, ist bislang eher nichts (man weiß ja nie, was noch so alles in den Sammlungen liegt) bekannt. Deswegen möchte ich heute ein paar Zeilen schreiben und nach der kurzen Einleitung etwas weiter ausholen:

Immer auf der Suche nach neuen Fundstellen, war ich im Sommer nach einem Besuch in der Grube Groß Rünz im weiteren Umland unterwegs um nach bislang unentdeckten Kiesgruben zu schauen. In der Tat gelang es eine Grube zu finden, die noch nicht auf dem Zettel der Geschiebesammler erschienen ist. Die Suche auf einer großen Halde vor Ort brachte keine herausragenden Ergebnisse, jedoch war Interesse geweckt dort öfter mal reinzuschauen.
Im Rahmen eines Geschiebesammler-Treffens in Sternberg, kurz nach dieser Begebenheit, habe ich Sammler-Kumpanen, u.a. Tassadia, von dieser Grube berichtet. Der Bericht hat offensichtlich Interesse geweckt, denn kurze Zeit später machte sich Tassadia mit einem Nachwuchssammler auf den Weg in diese Grube. Ich war nicht bei dieser Exkursion dabei. Im Rahmen dieser Exkursion fand der Nachwuchssammler, sein Name ist Ole Jensen, ein Fossil, welches relativ deutlich einen Langschwanzkrebs (bzw. dessen Reste) zeigte. Viel war nicht zu sehen, ein rötliches, filigranes und empfindliches Gebilde.  Tassadia war bewusst, dass der Fund ein besonderer war, er ging jedoch zunächst von einem Abdruck/Rest aus.
Nun ja, das Stück verschwand zunächst in der Sammlung von Ole und blieb dort, allerdings unangetastet durch ihn. Einige Monate später, es war mittlerweile November, trafen Ole und ich in der Grube Zarrentin aufeinander. Im Rahmen einer Vermittlung durch den Vater von Gister, der mein starkes Interesse an Langschwanzkrebsen bereits mitbekommen hatte, kam das Thema relativ schnell auf die „Leiche“ im Keller von Ole. Wir wurden uns erfreulicherweise recht schnell einig, ich würde den Krebs übernehmen und präparieren lassen.
Einen Tag später fand sich das Stück bereits bei mir ein und konnte inspiziert werden. Freude und Zweifel hielten sich einigermaßen die Waage, denn ich war nicht sicher, ob man aus dem Stück noch wirklich viel herausholen könnte. Man muss ergänzend hinzufügen, dass das Stück den Eindruck erweckte, der eigentliche Krebs wäre in der Grube geblieben, wie das erste Bild verdeutlichen soll:

Ole_Foto_des_Krebsest.jpg
Abb. 1: Krebs im Fundzustand.
Foto: Ole Jensen

Ein Gegenstück war zwar vorhanden, jedoch ohne den Rest des Fossils. War der Krebs zerbröselt? Oder blieb eine äußerst wichtige Scheibe in der Grube? Vor Ort konnte der Rest damals durch Tassadia und Ole nicht geborgen werden.
Nun saß ich also zu Hause mit dem Fund und habe überlegt, wen ich mit der Präparation beauftragen könnte. Mir schwebte ein Spezialist für Plattenkalk vor, da ich gewisse Ähnlichkeiten mit solchen Krebsen aus diesen Schichten zu erkennen glaubte.
Hinter den Kulissen von Steinkern begann also die Kontaktaufnahme und das Sammeln von Meinungen zu dem Stück. Natürlich hatte ich auch Lybyman mit auf der Liste und diesen frühzeitig kontaktiert, war mir aber nicht sicher, ob „Plattenkalk“-artiges etwas ist, mit dem Axel seinen „Spaß“ hat. Am Ende habe ich mich nach Rücksprache mit ihm gegen eine Präp-Werkstatt im Süden Deutschlands und eben für den Lybyman entschieden.
Kurzfristig nach Versendung per Paket kam auch Feedback von ihm, das ich jetzt mal frei wiedergebe: „“Äähh, wo ist denn der Krebs? Hier sehe ich nur abgesprengte Schale, würde von einer Präparation abraten.“
Tja, die Befürchtungen meinerseits hatten sich zwischendurch in Optimismus verwandelt und wurden dann jäh wieder zerstört. Ich wollte trotzdem unbedingt alles soweit möglich präpariert haben.
Bereits am nächsten Tag sah ich in meinem Postfach eine Mail von Axel und dachte mir, dass der kleine Fitzel dann jetzt fertiggestellt wurde und ich mich ärgern kann.
Stattdessen kam zunächst mal Gratulation zu meinem regelmäßig auftretenden Geschiebe-Glück, offensichtlich nicht nur im Gelände sondern auch in der Übernahme von Stücken.

Denn präsentiert wurde mir das folgende Stück:

krebs_saltholmskalk.JPG
Abbildung 2: Das präparierte Stück. Länge des Krebses zirka 8 cm.
Foto: René Kautz

Voilà, hier haben wir nun einen Langschwanzkrebs mit erhaltenem Rostrum samt Antenne, weiterem langen Antennenpaar, Schreitbeinen, Mundwerkzeugen und Abdomen (liegt links oben umgeklappt auf dem Carapax). Das letzte Pleopodenpaar, der „Fächer“, ist weggeschwemmt, ein Teil davon liegt links neben dem Stück vor. Länge des Krebses: insgesamt ca. 8 cm.
In dieser Form ist bislang kein weiteres Stück aus dem Geschiebe bekannt. Jedoch gibt es einen deutlichen Wermutstropfen. Lybyman ging bei der Präparation davon aus, dass nur minimale weitere Teile freigelegt werden können und war dann umso überraschter, dass der Großteil dann doch da war. Allerdings blicken wir in das Innere des Stücks! Die schöne Außenschale ist also nicht zu erkennen. Ob eine Zusatz-Präp. hier Sinn macht, darf man bezweifeln: das Stück ist sehr dünn erhalten und es ist damit fraglich, was bei der Erstellung einer künstlichen Matrix von der anderen Seite freigelegt werden kann.

Es bleibt also dabei: auch am Ende liegen Frust und Freude bei diesem Stück sehr nah beieinander. Nichtsdestotrotz bin ich sehr froh darüber und die Aufnahme in meine Sammlung, eine neue Decapoden-Erfahrung, die ich doch gerne gemacht habe.
Bei dem Geschiebe handelt es sich um danischen Saltholmskalk; netterweise wurde für den Decapoden eine Bestimmung durch Tassadia geliefert: Trachysoma cf. lundgreni Schlueter, 1874. Vielen Dank dafür. Günter hatte hier gewisse Bedenken geäußert, ich werde das Stück beizeiten mal persönlich vorstellen, um definitive Sicherheit herzustellen. Aber Stefan ist sich da bereits jetzt sehr sicher.
Das Stück gehört zu den Glypheoidea, eine Gruppe hummerartiger Zehnfußkrebse, die vorwiegend fossil gefunden wurde und insbesondere aus Solnhofen bekannt ist. Siehe dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/Glypheoidea
Spannend: diese Krebse haben keine Scheren, die vorhandenen Werkzeuge sehen aber trotzdem nicht weniger bedrohlich aus..
Also ein lebendes Fossil! Und die Plattenkalk-Einschätzung passt ja dann doch, irgendwie.

Es handelt sich nicht um einen Erstnachweis, aber die Erhaltung ist aus den beschriebenen Gründen neu.
Tendenziell würde ich tippen, es handelt sich um eine Exuvie.

Mit so einer kleinen Geschichte macht es doch nochmal mehr Spaß, das Stück zu betrachten.

Schöne Grüße und Danke für eure Zeit


René

Vielen Dank an Axel Cordes, Stefan Polkowsky und natürlich den Finder Ole Jensen!