Kreide

Ein Exemplar von Camerogalerus cylindrica mit Periprokt-Plattierung

Aus dem Mittelcenoman von Rheine-Waldhügel wird eine vollständige Corona des irregulären Seeigels Camerogalerus cylindrica (LAMARCK, 1816) beschrieben. Dieser im Cenoman von Westfalen nicht seltene Echinide ist mit nahezu der kompletten Periprokt-Plattierung erhalten, was im Cenoman von NRW bislang noch nicht publiziert wurde. Die Beplattung wird näher beschrieben, auf ähnliche Exemplare in der Literatur näher eingegangen.
 

 


1. Einleitung

 

In den Gesteinen der oberen Kreide von Nordwestdeutschland gehören irreguläre Echiniden zu den häufigeren Fossilfunden. Oftmals sind sie sogar als Zonenleitfossilien zu verwenden, wie im Turon und Campan die herzförmigen Micraster und kugeligen bis halbkugeligen Echinocorys sowie die kleinwüchsigen Coronen der Gattung Galeola.

Im Cenoman haben irreguläre Seeigel keinen echten Leitwert, die beiden einzigen häufiger auftretenden Formen sind der kugelige Holaster und der halbkugelige Camerogalerus, andere irreguläre (Discoides, Catopygus, Lampadocorys, Hemiaster) und besonders reguläre (Sammelgattungen Cidaris und Salenia sowie Cottaldia, Goniophorus, Tetragamma, Tiaromma) sind sehr selten, nur Tetragamma variolare sowie Salenia petalifera und Hyposalenia clahtrata sind „etwas“ häufiger.

Nur in sehr wenigen Fällen findet man besonders die regulären Seeigel komplett mit Stacheln, im glücklichsten Fall auch mit Gebissapparat und Afteröffnungs-Beplattung, da dies sehr spezielle Einbettungsverhältnisse erfordert.
Eher lassen sich Reste des Stachelkleides an irregulären Seeigeln finden, da diese im Boden leben und nach dem Tode oftmals nicht Strömungen ausgesetzt sind, die vorhandene Stacheln fortschwemmen würden.

 

 

 

Trotzdem ist es erstaunlich, wie selten bestachelte irreguläre Seeigel doch in den Sammlungen zu finden sind und umso bemerkenswerter ist das noch seltenere Vorkommen von After- oder Mundbeplattungen im fossilen Befund bei irregulären Seeigeln.

Einige sehr interessante Fundstücke sind bereits einmal in den Heften des APH publiziert worden (vollständige Stereocidaris – Coronen aus dem Cenoman von Wunstorf und Werl, mit Buccalplatten überlieferte Camerogalerus – und Hemipneustes – Coronen aus Wunstorf und Maastricht, bestachelte Cardiaster aus dem Campan von Coesfeld und Hannover). Jedoch stammen fast alle der dort publizierten Fundstücke aus der Umgegend von Hannover, aus der westfälischen Kreide ist nur sehr wenig Material bekannt gemacht worden. Dies ist sicher auch dem geringen Kenntnisstand zur westfälischen Kreideseeigel-Fauna zuzuschreiben.

Eine kleine Erweiterung ist insofern die Intention des vorliegenden Artikels, beschrieben wird eine gut erhaltene Corona von Camerogalerus cylindrica LAMARCK aus dem Mittelcenoman.

Das Stück wurde vor einigen Jahren von Friedhelm Erdmann aus Warendorf gefunden und mir ausgeliehen, wofür ihm an dieser Stelle mein herzlicher Dank gebührt.

2. Geologischer und geographischer Rahmen
Der Fundort ist ein z.T. stillgelegter Steinbruchkomplex im Stadtgebiet von Rheine am nordöstlichen Rand von Nordrhein -Westfalen. Erschlossen werden Kalke und Kalkmergel des unteren bis oberen Cenomanes mit einer zumindest hinsichtlich der Inoceramen reichen Fossilfauna. Seeigel sind im mittleren Cenoman nicht selten, meist jedoch findet man den fast kugeligen Holaster subglobosus LESKE, nur seltener andere irreguläre und reguläre Formen.
Das Fundstück ist unhorizontiert freiliegend im Gelände gefunden worden und lässt sich nach der Fundposition und beiliegendem Gestein dem oberen Mittelcenoman zuordnen.

 

 

 


3. Systematik
3.1 Allgemeines zu Camerogalerus LAMARCK
Die maximale Größe der Corona beträgt etwa 60 mm, meist finden sich Exemplare mit einem Durchmesser von etwa 30 – 45 mm. Juvenile Exemplare mit einem Durchmesser von etwa bis zu 40 mm sind in der Seitenansicht halbkugelig, danach nimmt die Corona überproportional zum Durchmesser in der Höhe zu, so dass sie ausgewachsen in der Seitenansicht nicht mehr halbkugelig, sondern fast hochoval erscheint. In der Aufsicht ist Camerogalerus fast immer kreisrund, wenige Exemplare – besonders von mittlerer Größe - neigen zu einer schwach bis stark fünfeckigen Form, wie dies z.B. bei den Coronen der im Oberturon von Wüllen häufig gewesenen Conulus – Exemplaren üblich ist.

Exemplare ab einem Durchmesser von etwa bis 15 mm zeigen eine flache Basisseite mit einem kantigen Übergang (etwa 60 - 80 °, je nach Größe) zur Oberseite, bei kleineren Exemplaren ist dies, wie auch bei den meisten anderen Discoides-Arten eher gerundet (siehe hier Abbildung 2: Camerogalerus – Coronen im Querschnitt).

Mund – und Afteröffnung liegen auf der Oralseite (Unterseite), sie sind im Verhältnis zum Coronen – Maß eher klein. Während die Mundöffnung kreisrund ist, zeigt die Afteröffnung eine ausgeprägt ovale Gestalt, die am schmalen Ende spitz zuläuft.

Der Gebissapparat von Camerogalerus ist nicht bekannt bislang, selten zeigen Coronen einzelne Elemente, die sehr klein sind, so dass von einem schwachen und wohl auch nicht sehr großen Gebissapparat auszugehen ist.

Die Beplattung der Afteröffnung ist sehr selten erhalten und deshalb auch nur wenige Male publiziert.

Camerogalerus ist verbreitet von der höheren Unterkreide (Apt, Camerogalerus peroni (Lambert, 1892), Frankreich) bis in die höchste Oberkreide (Maastricht) von Europa und Nordafrika. Bekannt sind aus der Oberkreide 5 Arten (Camerogalerus forgemolli (Coquand, 1862); Cenoman aus Algerien.; Camerogalerus minimus (Desor, 1842); oberes Cenoman bis Coniac, England und Frankreich [schließt Discoides infera Desor, 1857 ein]; Camerogalerus cantabricus Smith & Gallemi 1999; oberes Maastricht, Santander, Spanien, Camerogalerus neglectus (Lambert, 1931); Santon, Tunesien sowie der hier behandelte Camerogalerus cylindricus (LAMARCK, 1816); oberes Alb bis oberes Cenoman, westliches Europa [schließt die Arten C. bucaillei Lambert & Jeannet, 1928; Discoidea concava Bucaille, 1883 und Discoidea favrina Desor, 1842 ein].

 

 

 


3.2 Unterscheidungsmöglichkeiten von Camerogalerus zu anderen kreidezeitlichen, ähnlich aufgebauten Seeigeln:
Camerogalerus Quenstedt, 1873, p. 411
[=Pithodia Pomel, 1883, p. 75 (objective); =Pseudodiscoides Lambert & Thiery, 1914, p. 282 (objective); = Dixonia Wagner & Durham, 1964, p. 170, type species Discoidea minima Desor, 1842]

 

 

 


Typusexemplar: Galerites cylindricus LAMARCK 1816, ( 23), monotypie.
Camerogalerus cylindrica ist relativ häufig im mittleren und oberen Cenoman des Anglo-Paris-Beckens. Die Apikalseite, mit ihren 5 stark geporten Genitalplatten des Madreporitenapparates, ist sehr charakteristisch für diese Art.
Discoidea minima, Typusexemplar von Dixonia unterscheidet sich vom Typexemplar von  Camerogalerus in einer stärker zugerundeten Seitenansicht, ist aber ansonsten sehr ähnlich.
Discoides unterscheidet sich von Camerogalerus deutlich im Vorhandensein von 4 Gonoporen und Hydoporen CONFINED zur Genitalplatte 2.

 

 

 


4. Bekannte Exemplare von Camerogalerus cylindrica mit vollständiger Peristombeplattung
Bislang sind nur sehr wenige Exemplare mit vollständiger Peristom- oder Periprokt-Beplattung bekannt gemacht worden, die meist aus der englischen und französischen Kreide stammen. Aus der nordwestdeutschen Oberkreide beschrieb bislang nur FRERICHS (2003) Camerogalerus – Fundstücke mit Peristomplatten aus dem Cenoman von Hannover, für andere Stücke sei auf SMITH & WRITH (1999) verwiesen.

 

 

 


5. Beschreibung
Die unverdrückt erhaltene Corona hat einen Durchmesser von etwa 37 mm bei einer maximalen Höhe von 21 mm, sie ist im Verhältnis zum allgemeinen Fundspektrum dieses Seeigels nicht ausgewachsen, sondern von eher mittlerer Größe.
Die Corona ist unverdrückt überliefert und oberflächlich von guter Erhaltung ohne Schalenverlust. Sowohl auf der Oral- als auch auf der Aboralseite sind Lösungserscheinungen durch leichte Erosion zu erkennen, die jedoch nicht zum Riss der Schale geführt haben.
Auf der Schalenoberfläche sind kleine Eintiefungen zu erkennen, die randlich unregelmäßig sind und durch Veränderungen während der Lebzeiten des Tieres oder kurz nach dessen Tode durch die Attacke von Schnecken und Cirripediern hervorgerufen wurden.
Die Unterseite des Seeigels ist präpariert und frei von Sediment, so dass überlieferte Mund – oder Afteröffnungsbeplattung erkennbar wäre.

 

 

 

6. Literatur
Frerichs, U. (2003): Besondere Seeigel aus der Kreide im Raum Hannover, Teil 5: Camerogalerus cylindrica mit erhaltenen Buccalplättchen.- Arbeitskreis Paläontologie Hannover 31 (2): 44 – 47; Hannover.
Smith, A. B. & Wright, C. W. 1999. British Cretaceous Echinoids. Part 5, Holectypoida, Echinoidea. Palaeontographical Society Monographs, 343-390, pls 115-129.

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Abb. 1: Gesamtansicht auf die Corona von Camerogalerus cylindrica.

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Abb. 2: Ansicht auf die Unterseite der Corona, erkennbar sind Mund- und Afteröffnung

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Abb. 3: Detailansicht der erhaltenen Beplattung, die dreidimenional in der Originalanordnung überliefert sind. Leider sind ein oder zwei Plättchen verlorengegangen, das macht aber weder der Schönheit noch der Bedeutung des Stücke einen Abbruch.