Kreide

Das besondere Fossil: Xenophora - Eine "Muschelsammlerin" aus der westfälischen Oberkreide

 
 

Über die Trägerschneckengattung Xenophora und einen möglichen Erstnachweis von Xenophora onusta NILSSON, 1827 (Gastropoda) aus dem Unteren Obercampan von Coesfeld (Münsterländer Kreidebecken)



von Oliver Schneider, Bremen


Gastropoden bevölkern seit dem Kambrium die Erde. Einige von ihnen haben im Verlauf ihrer Entwicklung Verhaltensweisen entwickelt, die der Wissenschaft bis heute noch immer rätselhaft geblieben sind. Und die deshalb auch die fossilen Funde zu etwas Besonderem machen.
Interessant ist hier die altertümliche und kleine Gastropodenfamilie der Xenophoridae TROSCHEL 1852 mit der Gattung Xenophora FISCHER VON WALDHEIM 1807 und den beiden Untergattungen Xenophora (Stellaria) MÖLLER 1832 und Xenophora (Onusta) SWAINSON 1840. Fossile Gehäuse dieser Schnecken sind bei Sammlern sehr begehrt. Rezent kennt man heute 26 Arten und Unterarten.

Vertreter dieser Gattung besitzen mittelgroße Gehäuse, in der Regel niedrig bis hoch kegelförmig und mit 6 - 7 Umgängen. Die Basis ist konvex oder eben und eng bis mittelweit genabelt.
Die meisten Arten weisen einen kräftigen Fuß auf, der die Tiere zum "Sprung" befähigt und eine für Gastropoden schnelle Fortbewegungsweise garantiert.
Die Schnecke ernährt sich hauptsächlich von Detritus oder weidet Algenrasen ab.
Xenophora findet sich heute in tropischen und subtropischen Gewässern, ihr Verbreitungsgebiet liegt im gesamten Pazifikraum, im westlichen Atlantik und indischen Ozean. Auch aus dem Mittelmeer sind rezente Arten bekannt (Abb. 1).

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Abb. 1
Xenophora crispa (KÖNIG 1825)
rezent, westliches Mittelmeer, Breite 61mm (© Alboran Shells)


Das besondere an Xenophora ist nun ihr außergewöhnliches Verhalten, auf der Oberfläche ihrer Spiralseite vom Meeresboden aufgelesene Fremdkörper zu agglutinieren. Von dieser bemerkenswerten Tätigkeit leitet sich auch der Name ab, "Xenophora" bedeutet aus dem giechischen übersetzt "die Fremdträgerin". Vertreter der Familie Xenophoridae können daher als die ersten "Muschel- und Schneckensammler" der Erdgeschichte angesehen werden. Millionen von Jahren, bevor der Mensch dieses interessante Hobby für sich entdeckte.

Niemand weiss bis heute allerdings so richtig, warum die Schnecke die Außenseite ihres Gehäuses mit Schalenresten oder anderen Objekten bestückt. Dabei sind manche Arten wählerisch und sammeln nur ganz bestimmte Muschelschalen oder achten streng auf Form und Größe. Andere wiederum ergreifen alles, was sich in ihrem Weg befindet: Muscheln und leere Schneckengehäuse, Haifischzähne, Gesteins- und Korallenstückchen, Glas, ja sogar Münzen als Schmuck dieser lebenden Kunstwerke sind bekannt geworden. Und aus einer Aquariumhaltung ist sogar ein Fall beschrieben geworden, in dem Xenophora noch bewohnte Gehäuse von Schnecken der Gattung Turritella angeheftet haben soll.

Während der "Bautätigkeit" beweist die Schnecke eine außerordentliche Geduld. Bis zu 10 Stunden kann es dauern, nur ein Objekt richtig am Gehäuse zu befestigen. Das Stück wird zunächst an der späteren Klebestelle ausgiebig gereinigt und anschließend geschickt mit dem Fuß und dem Kopf  gedreht und an die richtige Stelle gebracht. Muschelschalen z. b. zeigen immer mit der Innenseite nach oben, Schneckengehäuse  sind meistens radiär angeordnet (Abb. 2). Die Anheftung erfolgt mithilfe klebender Sekrete aus dem Mantelrand. Auftretende Hohlräume werden mit Sandkörnern ausgefüllt. Abschließend verhält sich die Schnecke über Stunden regungslos bis die Zementierung ausgehärtet ist.

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Abb. 2
Xenophora (Xenophora) pallidula (REEVE 1842)
rezent, Philippinen, Breite 11mm  (© Alboran Shells)



Doch die Frage nach dem "Warum" ist bis heute ungeklärt! Naheliegend ist erstmal die Vermutung, dieses Verhalten diene der Tarnung vor möglichen Freßfeinden. Xenophora kommt jedoch nicht nur in lichtdurchfluteten Flachgewässern vor, zahlreiche Arten leben auch in der Tiefsee bis 1500m. Und dort herrscht absolute Finsternis. Eine rein optische Tarnung wäre in diesem Fall überflüssig. Wahrscheinlicher ist da schon die These, die "Anbauten" seien durch die Vergößerung der Oberfläche als Schutz vor dem Einsinken im weichen Sediment nötig oder sie dienten als stabilisierende Verlagerung des Schwerpunktes, um ein Umkippen durch Strömungen zu verhindern.

Fossil ist die Gattung Xenophora seit der Unteren Oberkreide bekannt. Laut Ponder (1983) beschrieb Stephenson (1952), allerdings ohne Abbildung, eine Art aus dem Cenoman von Texas.
Die lange Zeit als frühe Vertreter der Familie angeführten jurassischen Gattungen Jurassiphorus COSSMANN 1915 und Lamelliphorus COSSMANN 1915  werden heute nicht mehr dazu gerechnet (Gründel 1997). Ihnen fehlen nicht nur die typischen agglutinierten Objekte, auch die mittlerweile bekannten Protokonche sprechen gegen eine Zugehörigkeit zu den Xenophoridae.
Besonders im Miozän und Pliozän sind Funde dieser Schnecke an manchen Fundorten keine Seltenheiten und gehören zu begehrten Sammelobjekten. So stammen viele Stücke aus dem Pliozän Norditaliens (Abb. 3) und dem Miozäns Frankreichs (Abb. 4 und 5).  Auch im Miozän der "Urnordsee" sind Funde dieser Gattung möglich, so in Twistringen, Miste/Niederlande oder Groß Pampau.

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Abb. 3
Xenophora crispa (KÖNIG 1885), Unteres Oberpliozän, Castell Arquato b. Piacenza
(oben Nabelseite, unten Seitenansicht; Slg. u. Foto O. Schneider)


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Abb. 4
Xenophora burdigalensis (GRATELOUP), Unteres Miozän (Burdigal), Saucats b. Bordeaux
(oben Apikalansicht, unten seitlich; Slg. und Foto O. Schneider)


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Abb.  5
Detailaufnahme der in Abb. 4 gezeigten Xenophora burdigalensis mit Resten der auf dem Gehäuse agglutinierten Objekte


In der norddeutschen Kreide bzw. den angrenzenden Kreidevorkommen sind Funde von Xenophora jedoch zumeist Seltenheiten und bisher nur von wenigen Fundorten beschrieben. Arnold (1964) listet diese Gattung in seiner Fossilliste der Münsterländer Oberkreide nicht auf. Die Kreideliteratur berichtet über Vertreter der Gattung aus der Obersten Kreide von Aachen und Vaals (Holzapfel 1888), aus dem Maastricht des Südholländischen Raumes (Kaunhoven 1898) bzw. aus Limburg (van der Weijden 1943) und dem Obercampan des Stemweder Berges (Arnold 1968). Weitere Vorkommen werden aus dem Campan von Tannendorf in Böhmen (Andert 1934) und des Salzbergmergels bei Quedlinburg (Burmeister 1916) erwähnt.
Aus den Oberkreideschichten des Münsterländer Kreidebeckens ist über Funde dieser Schneckengattung bisher in der Literatur nicht berichtet worden. Als "besonderes Fossil" wird daher ein Fund aus dem Nordwestteil des Kreidebeckens vorgestellt, möglicherweise als Erstnachweis dieser Schneckengattung auch in diesem Teil der deutschen Oberkreide. Das Stück wurde während Ausschachtungsarbeiten auf dem Coesfelder Berg gefunden. Hier waren extrem fossilreiche Kalkmergel und Mergelkalke der Coesfeld-Formation (Coesfelder Schichten, vari-Zone, stobaei/basiplana-Zone) des basalen Obercampan aufgeschlossen. Neben zahlreichen großwüchsigen Ammoniten der Gattung Patagiosites fand sich eine reiche Schwamm-, Echinodermen- und Molluskenfauna. Besonders Gastropoden konnten in großer Artenvielfalt aufgesammelt werden.
Es handelt sich um einen knapp 45mm hohen Prägesteinkern (Abb. 6 - 8) mit 4 erhaltenen Umgängen. Am ehesten kommt Xenophora cf. onusta Nilsson 1827 in Frage. Durch laterale Stauchung während der Diagenese erhielt das Gehäuse einen hochkonischen Umriß, jedoch haben sich die leicht konvexen Umgänge mit der typischen Kante gut erhalten. Deutlich erkennbar sind auch die muldenförmigen Vertiefungen, hervorgerufen durch die einst hier agglutinierten Schalen.  Es handelte sich um fein berippte Objekte, am ehesten den Bivalven zuzuordnen. Eine genauere Bestimmung ist nicht möglich.

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Abb. 6
Xenophora cf. onusta (NILSSON 1827), Unteres Obercampan, Coesfeld-Formation, stobaei/basiplana-Zone
Ausschachtungsarbeiten auf dem Coesfelder Berg b. Coesfeld/Westf. (Höhe 45mm, Slg. u. Foto O. Schneider)


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Abb. 7
Wie in Abb. 6, auf dem Prägesteinkern sind deutlich der Reste der ehemals angebrachten Schalenreste zu erkennen

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Abb. 8
Detailaufnahme aus Abb. 7 mit Abdrück eines Schalenrestes auf dem äußeren Umgang.




Literatur:

Andert, H. (1934): Die Kreideablagerungen zwischen Elbe und Jeschken. Teil III: Die Fauna der obersten Kreide in Sachsen, Böhmen und Schlesien - Abh. Preuß. Geol. Landesanst. N. F. 159, Berlin

Arnold, H. (1964): Fossilliste für die Münsterländer Oberkreide - Fortschr. Geol. Rheinld. u. Westf. 7; S. 309-330, Krefeld

Arnold, H. (1968): Das Obercampan des Stemweder Berges und seine Fauna - Veröff. Überseemus. Bremen, Reihe A Bd. 3 Heft 6, Bremen

Burmeister, L. (1916): Die Molluskenfauna des Salzbergmergels - Jb. König. Preuss. Geol. Landesanst. Bd. 35 Teil II, Berlin

Gründel, J. (1997): Zur Kenntnis einiger Gastropoden-Gattungen aus dem französischen Jura und allgemeine Bemerkungen zur Gastropodenfauna aus dem Dogger Mittel- und Westeuropas - Berliner geowiss. Abh. E 25; S.69-129, Berlin

Holzapfel, E. (1888): Die Mollusken der Aachener Kreide - Palaeontographica 34, Stuttgart

Kaunhoven (1898): Die Gastropoden der Maastrichter Kreide - Palaeont. Abh. 8, Berlin

Ponder, W. F. (1983): Xenophoridae of the world - Australian Museum Memoir 17; S. 1 - 17

Stephenson, L. W. (1952): Greater invertebrate fossils from the Woodbine Formation of the Cenomanian, Texas - U. S. Geol. Surv., Prof. Pap. 242; S. 1 - 226

Weijden, van der (1943): Die Macrofauna der Hervenschen Kreide - Med. Geol. Stichting, Serie C-IV-2-No. 1, Maastricht