Oberer Jura

Ein ungewöhnliches Lithacosphinctes

Aus dem mittleren Malm Gamma 1 (mittlere Platynota-Zone, Desmoides-Subzone) von Gräfenberg (Steinbruch Endress) wird ein ungewöhnlicher Ammonit der Gattung Lithacosphinctes abgebildet und beschrieben. Das Exemplar zeigt, wie wichtig die genaue Kenntnis der Fundschicht und das Wissen über die Variationsbreite einer Spezies sind, um Fehlbestimmungen zu vermeiden.

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Das rund 17,5 Zentimeter große Exemplar ist gedrückt und mit Endmundsaum überliefert. Es musste mit Sekundenkleber fixiert werden, da mehrere größere und feinere Risse den Ammoniten durchziehen. Die inneren Windungen sind relativ engnabelig und die markanten Hauptrippen relativ weit auseinander stehend angeordnet. Es gleicht fast 1:1 einem Stück, dass Hantzpergue 1989 unter der Bezeichnung Ardescia virgatoides (Wegele) abgebildet hat.

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Ardescia virgatoides (Wegele) - Zone à Rupellense, horizon à Virgatoides; Abbildung aus Atrops 1989, Plache 4, Fig. a
 
Der Holotypus von Wegele hat eine Apophyse, ist also ein Mikrokonch (= Männchen). Es erinnert an eine relativ großwüchsige Ardescia desmoides (Wegele), und dürfte wohl auch unter die Variationsbreite dieser Art fallen. Hantzpergue hat im Gegensatz zu Atrops Ardescia in den Gattungsrang erhoben und darin gleichzeitig makrokonche und mikronche Exemplare vereinigt. Zwar ist diese Vorgehensweise plausibler als die von Atrops, der die Mikrokonche unter Orthosphinctes (Ardescia) und die Makrokonche unter Orthosphinctes (Lithacosphinctes) gestellt hat, trägt allerdings der Tatsache nicht Rechnung, dass sich bei den Orthosphincten mikro- und markrokonche Formen im Laufe der Evolution unterschiedlich entwickelt haben. (vergl. Schlampp "Einführung in die Bestimmung von Oberjura-Ammoniten" in: steinkern.de (Pfad: Funde – Funde aus dem Jura (Malm)).
 
Im Folgenden möchte ich erklären, warum der etwa 17,5 Zentimeter messende Lithacosphinctes nur eine Sonderform von Lithacosphinctes pseudoachilles (Wegele) darstellt, obwohl er auf den ersten Blick nur wenig Gemeinsamkeiten mit ihm aufweist. Die Art virgatoides ist meiner Meinung nach nicht berechtigt, ist jedoch als Morphotyp hilfreich, die Skulptur relativ kleinwüchsiger Vertreter von Lithacosphinctes pseudoachilles zu beschreiben. Im mittleren Malm Gamma 1 gäbe es damit vier unterschiedliche Morphotypen, die jedoch durch fließende Übergänge miteinander verbunden sind: Lithacosphinctes pseudoachilles morf. pseudoachilles, Lithacosphinctes pseudoachilles morf. stromeri, Lithacosphinctes pseudoachilles morf. virgatoides sowie Lithacosphinctes pseudoachilles morf. evolutus (nicht zu verwechseln mit Lithacosphinctes evolutus aus dem unteren Malm Gamma 1).
 
Begründung:
 
Ein ausgewachsenes Lithacosphinctes pseudoachilles erreicht in der Regel einen Enddurchmesser zwischen 25 und knapp unter 40 Zentimetern. In diesem Falle kann man vier Entwicklungsstadien beobachten: Die innersten Windungen sind mit feinen (morf. pseudoachilles) oder gröberen (morf. stromeri) Hauptrippen bedeckt, die in der Regel bipartit und selten auch polygyrat aufspalten. Dazu kommen keine bis wenige Schaltrippen. In den mittleren Umgängen wird der Berippungstypus beibehalten, wobei die Rippen langsam (morf. evolutus) oder schnell (morf. pseudoachilles bzw. stromeri) weiter auseinanderrücken und die Zahl der polygyraten Spaltungen und Schaltrippen zunimmt. Dann kommt das markante "Büschelrippenstadium". Die Hauptrippen verstärken sich und durch vermehrte Schalt- und Spaltrippen entstehen die typischen Rippenbüschel. Im Adultstadium verschwinden die Schalt- und Spaltrippen, so dass gegen Ende nur noch die Hauptrippen übrig bleiben, die außerdem wulstartig verstärkt sind.
 
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Orthosphinctes (Lithacosphinctes) cf. pseudoachilles; Malm Gamma1 (unterste Mergelbank von Gräfenberg). Das für diese Bank in typisch miserabler und verdrückter Erhaltung vorliegende Exemplar zeigt deutlich die markanten Wulstrippen; Durchmesser ca. 31 Zentimeter.

Auch der hier eingangs abgebildete Lithacosphinctes pseudoachilles ist ausgewachsen, aber mit seinem Durchmsesser von rund 18 Zentimetern innerhalb der Spezies ein "Zwerg" gewesen. Eine Jugendform scheidet aus, da diese längere Wohnkammern (mehr als ein Umgang statt wie hier nur etwa ein Dreiviertel-Umgang) haben. Deshalb hatte das Tier nicht die Möglichkeit, alle vier typischen Berippungsstadien auszubilden. Erstaunlich aber ist, dass die Reihenfolge trotzdem eingehalten wurde. Das Büschelrippenstadium dauert sehr lange und ist äußerst intensiv ausgeprägt. Gegen Ende der Wohnkammer verstärken sich die Hauptrippen deutlich, ohne dabei – trotz Reduzierung - ihre Spalt- und Schaltrippen zu verlieren. Im Gegenteil: sie verstärken sich zusammen mit den Hauptrippen, so dass ein auf den ersten Blick ungewohntes Berippungsmuster entsteht.
 
Trotzdem bin ich der Meinung, dass es sich bei dem Stück nicht um eine andere Art handelt. Dies schließe ich daraus, dass Exemplare ausgewachsener aber relativ kleinwüchsiger Vertreter von Lithacosphinctes evolutus (Quenstedt) aus dem untersten Gamma 1 (Platynota-Zone, Polygyratus-Subzone) ein analoges Berippungsmuster zeigen.
 
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Nochmals das eigangs abgebildete Exemplar. Der Pfeil markiert den Beginn der Wohnkammer. Im Streiflicht sind schön die markanten Büschelrippen zu erkennen.

Literatur:
 
Atrops, F. (1982): La sous-familie des Ataxioceratinae (Ammonitina) dans le Kimmeridgien inférieur du sud-est de la France. Systématique, évolution, chronostratigraphie des genres Orthosphinctes et Ataxioceras. - Docum. Lab. Géol. Lyon, 83:463 S., 64 Abb., 54 Tab., 45 Taf.; Lyon.
 

Geyer, O. F. (1961a): Monographie der Perisphinctidae des unteren Unterkimeridgium (Weisser Jura Gamma, Badenerschichten) im süddeutschen Jura. - Palaeontographica, A 117: 1-157, 157 Abb., 107 Tab., Taf. 1-22; Stuttgart.
 

Hantzpergue, P. (1989): Les Ammonites Kimméridgiennes du haut-fond D’Europe occidentale. - cahiers de paleontologie 157: 428 S, 141 Abb., 46 Tab., 45 Taf.; Paris, Centre National de la Recherche Scientifique.
 

Schairer, G. (1967): Biometrische Untersuchungen an Perisphinctes, Ataxioceras, Lithacoceras der Zone der Sutneria platynota (REINECKE) (unterstes Unterkimmeridigium) der Fränkischen Alb. - 131 S., 61 Abb., 37 Tab., 18 Taf.; München.
 

Wegele, L. (1929): Stratigraphische und faunistische Untersuchungen im Oberoxford und Unterkimmeridge Mittelfrankens.- Palaeontographica, 71: 117-210, Taf. 25-28 und 72: 1-94, Taf. 1-11; Stuttgart
 

Fotos und Sammlung: Victor Schlampp

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