Alt-Paläozoikum

Geschiebe-Trilobiten aus kambrischen Stinkkalken von der Insel Rügen

Einleitung

Mit der Intensivierung unseres Hobbys, dem Sammeln von Fossilien, kristallisieren sich bei vielen von uns Schwerpunkte heraus. In meinem Fall sind das die Trilobiten geworden, verbunden mit einem Faible fürs Präparieren. So kommt es, dass ich vermehrt Rohmaterial, hauptsächlich aus Marokko, ankaufe. Trilobiten zu finden, ist aber durchaus auch in Deutschland möglich. Eine Möglichkeit hierzu bietet das Sammeln im Geschiebe. In diesem Artikel möchte ich auf das Vorkommen von Trilobiten in den kambrischen Stinkkalken eingehen. Vorgestellt wird eine kleine Auswahl von Funden einer Woche intensiven Sammelns auf der Insel Rügen.

 

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Abb. 1: Horizont mit eingelagerten Geschiebebrocken.

 

Das Tolle beim Sammeln im Geschiebe ist, dass man Fossilien vieler Erdzeitalter an einem Fundort findet. Im Falle der Ostseeküste kann man zusätzlich das Meer genießen, welches ein schönes Ambiente für eine entspannte Fossilsuche bietet.

Trilobiten treten in verschiedenen paläozoischen Geschieben auf. Zu den auf Rügen sehr oft vorkommenden und für Trilobitensammler interessanten Geschieben zählen beispielsweise der graue und rote Orthoceratenkalk (Ordovizium) und der Beyrichienkalk (Silur). Diese Gesteine beinhalten zwar häufig Reste von Trilobiten, doch nur selten vollständige Exemplare. Die auf Rügen häufigsten kambrischen Geschiebe, sind die Stinkkalke. Diese sind zeitlich im späten Mittelkambrium und im oberen Kambrium zu verorten. Es sind dunkelgraue bis schwarze Gesteine, die oft von weißen Bändern durchzogen sind. Diese Geschiebe sind sehr reich an Fossilien, welche in Kondensationshorizonten oft Schicht bedeckend sind. Hauptsächlich handelt es sich um Einzelteile von Trilobiten. Brachiopoden sind mit der Art Orusia lenticularis vertreten. Auch Conodonten treten auf. Trilobiten kommen mit Vertretern der Ordnungen Ptychopariida, Agnostida und sehr selten auch Asaphida vor.
Seinen Namen verdankt der Stinkkalk dem teerartigen Geruch beim Aufschlagen. Anstehend kommt der Stinkkalk in Schweden vor, wo er „Orsten“ genannt wird. Dort bilden die Alaunschiefer Schichtpakete mit eingelagerten Konkretionen in Form der Stinkkalke. Der Schiefer selbst ist viel weicher als die Konkretionen und hat den Transport im Eis nur in seltenen Ausnahmefällen überstanden.

 

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Abb. 2 und 3: Typische Stinkkalkgeschiebe.

 

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Abb. 4: Tagesausbeute, jetzt freut sich der Rücken auf den Abtransport...

 

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Abb. 5: Viel versprechende Brocken wurden ungeöffnet mitgenommen und erst zu Hause aufgeschlagen. So hat man weniger Probleme mit dem Verpacken und es kann auch nichts kaputt gehen – die größte Gefahr bei dieser Vorgehensweise besteht im Achsbruch beim Auto.

 

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Abb. 6: Zu Hause wurden die Brocken dann sorgsam geknackt.

 

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Abb.  7: Anthrakonit (oben) und Barytrosen (unten).

 

 

Biostratigrafie
Die Kalke lassen sich in sechs Zonen unterteilen, wobei die Trilobiten als Leitfossilien dienen. Die sechs Zonen lassen sich wiederum in 26 Unterzonen aufteilen, auf die ich jedoch nicht näher eingehen werde.

 

Zone 1 ist durch ein oftmals massenhaftes Auftreten des Trilobiten Agnostus pisiformis gut erkennbar. Die Zone wird inzwischen in das oberste Mittelkambrium (Miaolingium) gestellt, alle weiteren Zonen sind Teil des Oberkambriums (Furongium). Agnostiden sind nur in dieser Zone häufig, in allen anderen Zonen dagegen selten.

Zone 2 ist die Olenus Zone. Diese wird anhand verschiedener Arten des Trilobiten Olenus weiter aufgeteilt.

Zone 3 ist die Parabolina Zone mit Trilobiten der Art Parabolina spinulosa. Immer wieder gibt es Massenvorkommen des Brachiopoden Orusia lenticularis. Dieser kommt meist monospezifisch schichtbedeckend vor oder stattdessen selten in einzelnen Exemplaren zusammen mit Parabolina.

Zone 4 ist die Leptoplastus Zone.

Zone 5 ist die Peltura Zone. Sie ist gut erkennbar an den darin enthaltenen wenig strukturierten Cranidien des Trilobiten Peltura.

Die letzte Zone (Nummer 6) ist die Acerocarina Zone, welche im Geschiebe nur sehr selten vertreten ist.

 

 

Fauna
Die Trilobiten sind durchweg kleinwüchsig. Vollständige Exemplare treten nur sehr selten auf.
Agnostiden waren kleine blinde Trilobiten, bei denen sich Kopf- und Schwanzschild stark ähneln. Bei gut erhaltenen Exemplaren kann man am Pygidium zwei nach hinten gerichtete Stacheln und am Kopfschild Wangenstacheln erkennen. Diese Trilobiten besaßen nur zwei Thoraxsegmente. Aufgrund der weltweiten Verbreitung nimmt man eine schwimmende Lebensweise an.
Trilobiten der Ordnung Ptychopariida sind ausschließlich mit der Familie Olenidae vertreten. Häufige Vertreter sind die Gattungen Olenus, Parabolina, Sphaerophthalmus und Peltura. Einige sind derart stachlig, dass so manche „Devon-Punks“ vor Neid erblassen würden. Die extrem langen Wangenstacheln einiger Arten dienten wohl dazu, zu verhindern, dass die Tiere ins Sediment einsinken. Rudolf Kaufmann beschrieb bereits 1933 Entwicklungsreihen der Gattung Olenus. Aufgrund einer ungestörten Abfolge von Sedimenten lassen sich die Evolutionsschritte hier sehr gut nachverfolgen.

 

Lebensraum
Der Meeresboden, der den Tieren als Lebensraum diente, war extrem sauerstoffarm (suboxisch), das Sediment wohl sogar völlig sauerstoffrei (anoxisch). Ein geringer Artenreichtum ist für solche Umweltverhältnisse typisch, ebenso wie eine hohe Individuenzahl von auf die widrigen Bedingungen angepassten Lebewesen. Es ist zudem davon auszugehen, dass am Meeresgrund eine hohe Schwefelkonzentration vorhanden war. Fortey (2000) vertritt die Theorie einer Symbiose einiger Trilobiten mit Schwefelbakterien. In Zone 4 kam es hin und wieder zu erhöhten Sauerstoffkonzentrationen, wodurch kurzzeitig Massenansammlungen des Brachiopoden Orusia lenticularis ermöglicht wurden. Selten kommen diese Brachiopoden auch zusammen mit Trilobiten vor. Sind die Schichten gänzlich fossilfrei, stand wohl kein Sauerstoff zur Verfügung.

 

Bestimmung
Eine genaue Bestimmung der Trilobiten ist oft nicht möglich. Gründe hierfür sind einerseits fließende Übergänge zwischen einzelnen Arten und Gattungen, andererseits aber auch die Tatsache, dass die Trilobiten meist unvollständig überliefert sind. Erschwerend tritt hinzu, dass eine genaue Horizont-spezifische Betrachtung des Materials nicht möglich ist, da es sich um Geschiebefunde handelt.

 

Alle nachfolgenden Fotos können durch Anklicken vergrößert werden. Die Gesamtansicht und eine Detailansicht gehören jeweils zusammen.

 

01 Uebersicht
01 Detail Abb. 8 a-c:

Agnostus pisiformis Zone
Agnostus pisiformis (WAHLENBERG, 1818)

Breite des Steins: 19 cm

 

Agnostus pisiformis

Abb. 8 d: Agnostus pisiformis. Zeichnung: Sabine Lauterbach

 

 

 

 

02 Uebersicht

02 Detail GR

Abb. 9 a-c:

Olenus Zone
Olenus truncatus Subzone
Olenus truncatus (BRUENNICH 1781)

Breite des Steins: 19 cm

Olenus

Abb. 9 d: Olenus. Zeichnung: Sabine Lauterbach.

 

 

 

03 Uebersicht

03 Detail

Abb. 10 a-c: Olenus Zone
Homagnostus obesus (BELT 1867)

Breite des Steins: 11 cm

 

 

 

 

04 Uebersicht
04 Detail
Abb. 11 a und b: Olenus Zone
Homagnostus obesus (BELT 1867)

 

 

 

05 Uebersicht

05 Detail
Abb. 12 a und b:

Parabolina Zone
Orusia lenticularis (WAHLENBERG 1821)

Breite des Steins: 17 cm

 

 

 

 

06 Uebersicht
Abb. 13:

Parabolina Zone
Der Stein enthält sowohl Parabolina sp. als auch den Brachiopoden Orusia lenticularis.

Breite des Steins: 9,5 cm

 

 

 

07 Uebersicht
07 Detail
Abb. 14 a-c:

Leptoplastus Zone
Leptoplastus sp. oder Eurycare sp.

Breite des Steins: 15 cm

 

 

 

 

08 Uebersicht

08 Detail

Abb. 15 a und b:

Peltura Zone
Sphaerophthalmus sp.

Breite des Steins: 7 cm

Sphaerophthalmus

Abb. 15 c: Sphaerophthalmus. Zeichnung: Sabine Lauterbach.

 

 

 

 

09 Uebersicht

09 Detail
Abb. 16 a-c:

Peltura Zone
Peltura cf. scarabaeoides (WAHLENBERG 1818) (links), Parabolina sp. (rechts).

Breite des Steins: 12 cm

 

 

10 Uebersicht

10 Detail

Abb. 17 a-c:

Peltura Zone
Peltura cf. scarabaeoides (WAHLENBERG 1818) (links), Cranidium von Ctenopyge oder Sphaerophthalmus (rechts).

Breite des Steins: 18 cm

 

 

Dank
Bedanken möchte ich mich bei Ronald Klafack, mit dem ich einige Telefonate zum Thema führen konnte, in denen er mir hilfreiche Hinweise und Tipps gegeben hat. Des Weiteren danke ich meiner Mutter Sabine für das Anfertigen der tollen Zeichnungen.

 

Literaturhinweise

 

Clarkson, E. N. (2011): The life and times of the olenid Trilobites

 

Fortey, R. (2000): Trilobiten!

 

Høyberget, M. & Bruton, D. L. (2012): Revision of the trilobite genus Sphaerophthalmus and relatives from the Furongian (Cambrian) Alum Shale Formation, Oslo Region, Norway

 

Hucke, K., Voigt, E. (1967): Einführung in die Geschiebeforschung

 

Jackson, I. & Budd, G. (2017): Intraspecific morphological variation of Agnostus pisiformis, a Cambrian Series 3 trilobite-like arthropod

 

Koppka, J. & Sonntag, H. (2003): Klassifikation der Trilobiten

 

Månsson, K. & Clarkson, E. N. (2012): Ontogeny of the upper Cambrian (Furongian) Olenid Trilobite Protopeltura Aciculata (Angelin, 1854) from Skane and Västergötland, Sweden

 

Rasmussen, B., Nielsen, A. T. & Schovsbo, N. H. (2015): Faunal succession in the upper Cambrian (Furongian) Leptoplastus Superzone at Slemmestad, southern Norway

 

Rasmussen, B., Rasmussen, J. A. & Nielsen, A. T. (2017): Biostratigraphy of the Furongian (upper Cambrian) Alum Shale Formation at Degerhamn, Öland, Sweden

 

Rudolph F., Bilz W., Pittermann D. (2019): Fossilien an deutschen Küsten: Finden und Bestimmen

 

Westrop, S. R. & Eoff, J. D. (2012): Late cambrian (Furongian; Paibian, Steptoean) agnostoid arthropods from the Cow Head Group, Western Newfoundland



 

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