Ausstellung: Ursaurier, Riesenscorpion & Co - eine Reise ins Erdaltertum

Lebenswelt des Erdaltertums:

Lippisches Landesmuseum Detmold zeigt einzigartige Fossilien aus einer längst vergangenen Epoche unserer Erde

von Prof. Dr. Rainer Springhorn

 

Die Sammlung des Privatsammlers Dr. Thomas Güttler aus Höxter weist Dokumente aus Pflanzen- und Tierwelt der Zeit von 540 bis 250 Millionen Jahren vor heute auf, die von der Bezirksregierung Detmold als herausragendes Kulturerbe der Region anerkannt worden ist!
Ob es sich um seltene ausgestorbene Pflanzen Europas oder um spektakuläre urtümliche Fische, Haie, Lurche oder Ursaurier handelt, um riesige Gliedertiere, Libellen oder andere Insekten, stets sind es in ihrer Erhaltung überaus prachtvolle Belege längst erloschener Ökosysteme, die in den meisten europäischen Museen ihresgleichen suchen. Die Fossilien, so wie sie sich dem Betrachter darbieten, mussten in mühevoller Arbeit aus den Sedimentgesteinen, in die sie eingebettet sind, frei gelegt werden. Durch erstklassige minutiöse Bearbeitung der Präparatoren unter dem Mikroskop wurde jedes Detail der erhaltenen organischen Strukturen sichtbar gemacht. Auf diesem Wege ist die Funktionsweise der angetroffenen Anatomie rekonstruierbar und konnte eine taxonomische Zuordnung, also die Bestimmung der Organismen vorgenommen werden.
Die vom 9. April bis 8. August 2011 in Detmold angebotene Sonderausstellung wurde nach der Jubiläumsausstellung des vergangenen Jahres wiederum unter Verwendung des Vitrinenensembles der Ausstellung „Mythos – 2000 Jahre Varusschlacht“ von Grafik-Designerin Annette Hibbeler gestalterisch konzipiert. Erneut stellte sie ihre große Einfühlungsgabe in neue Themen unter Beweis. Die geologische Chronologie diente ihr als Leitfaden, geschickt wählte sie Blickachsen und erzielte unter Verwendung großformatiger Objektfotos beziehungsweise fotografischer Aspekte der Fundsituationen im Gelände einen großzügigen Präsentationsrahmen. Ein anspruchsvoller Katalog, mit auch für den Laien gut verständlichen Beiträgen international renommierter Spezialisten der Paläontologie wurde vom Verlag Dr. Friedrich Pfeil (München) aufgelegt. Ohne tatkräftige Unterstützung von Sponsoren, denen das Landesmuseum seit vielen Jahren die besondere Qualität seiner Ausstellungen verdankt, wäre auch diese Schau undenkbar gewesen.           

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Der Ausstellungskatalog - im Hintergrund eine vergrößerte Ansicht des Titelbilds.
Bezugsmöglichkeit u.a. im Lippischen Landesmuseum und über den Pfeil-Verlag.      

Zu Beginn des Erdaltertums (Paläozoikum) vor etwa 540 Millionen Jahren gab es noch keine zusammenhängende Landmasse, die als „Europa“ zu bezeichnen ist. Im Norden, Süden und Osten eines Meeres, das von den Geologen „Rheischer Ozean“ genannt wird, existierten einige kleinere und größere Kontinentalblöcke, sogenannte Terranes, die heute in das kontinentale Gefüge aus Gesteinen jüngerer Gebirgsbildungsphasen, Meeressedimenten und festländischen Ablagerungen des mittleren und jüngeren Erdaltertums, des Erdmittelalters und der Erdneuzeit eingebettet sind. Die größeren Kontinentalblöcke erhielten Namen, die sich aus der heutigen geografischen Lage oder aus ihrer paläogeographischen Situation ableiten: Laurentia, Gondwana, Avalonia oder Baltica.
Das nördliche Irland und Schottland sind ein kleiner Abschnitt Laurentias. Südliches Irland, England (incl. Wales), die Bretagne, Brabanter Massiv, Ardennen und das Rheinische Schiefergebirge, der Harz und der tiefere Untergrund Norddeutschlands gehörten zu Avalonia. Die Iberische Halbinsel, große Teile Frankreichs, Sardinien, Montagne Noir, der kristalline Untergrund der Karnischen Alpen, Cantabria, Ossa Morena, Bereiche Süddeutschlands, Böhmen, Südwest-Polen sowie große Teile Rumäniens und Bulgariens waren kleinere Kontinentalsplitter (Terranes) am Nordrand Gondwanas. Skandinavien, Nord-Polen, große Bereiche der Russischen Plattform und Podolien gehörten zu Baltica.
Im Zuge der Kontinentaldrift Gondwanas während des Kambriums nach Süden öffnete sich im Norden Avalonias und Balticas – beide Kontinentalblöcke getrennt durch die Tornquist Straße – ein weiteres Meer, der „Iapetus Ozean“. Im Kambrium kam es in Regionen, die heute zu Südeuropa gehören, zur Bildung von Warmwasserkalken, teilweise einhergehend mit dem Auftreten von Archaeocyathiden-Riffen. Bereiche des heutigen Nordeuropas befanden sich damals im Einfluss kühleren Klimas. Während des Ordoviziums (495-445 Mio. Jahre) erfolgte eine Einengung des Iapetus Ozeans. Avalonia trennte sich endgültig von Gondwana und kollidierte im oberen Ordovizium mit Baltica; die Tornquist Straße wurde geschlossen. Infolge der Süddrift Gondwanas erreichte dieses im Laufe des Ordoviziums hohe südliche Breiten, was in den marinen Küstenbereichen zu Kaltwasserfaunen und zu Vergletscherungen auf dem Kontinent führte. Die extremen Klimaverhältnisse verursachten hier ein Massenaussterben. Baltica – ursprünglich in kühlen Klimaten gelegen - erreichte schließlich eine Position südlich des Äquators mit entsprechenden Warmwasserverhältnissen.

Während des mittleren Paläozoikums (Silur – Devon, 445-360 Mio. Jahre) bewirkte die Plattentektonik eine Kollision von Laurentia mit Avalonia/Baltica. Während der Annäherung dieser beiden Kontinentalblöcke kam es zunächst zur Bildung flachmariner und später zunehmend Süßwasser geprägter Lebensräume mit hervorragenden Erhaltungsbedingungen für Organismen. Korallenriffe, Vorschüttungsbereiche in ihrem Umfeld, Lagunen sowie brackige Milieus im Übergang vom Meer zu kontinental beeinflussten Ablagerungsräumen prägten den heutigen Ostseeraum. Neben einer reichen Lebewelt von Armfüßern (Brachiopoden), Muscheln und Schnecken tummelten sich dort „Dreilappkrebse“ (Trilobiten), Krebstiere, Eurypteriden (Skorpion ähnliche Tiere) und urtümliche kieferlose Fische. Weiter seewärts der Riffe kam es zur Ablagerung von Sedimenten mit Graptolithen, kleine, Kolonien bildende Tiere, die möglicherweise entfernt verwandt sind mit frühen Vorläufern der Wirbeltiere.  Der Komplex Avalonia/Baltica, ergänzt durch das heutige Schottland und nördliche Irland als Teile Laurentias wurden kontinental. Dies führte zur Bildung des Superkontinentes Laurussia, der auch unter dem Begriff Old-Red-Sandstone-Kontinent in die Forschung eingegangen ist. Die hier skizzierte Kollision fand im Bereich des nördlichen Iapetus Ozeans statt und wird als Kaledonische Orogenese bezeichnet. Die Verlandung dieser ehemals marinen Ablagerungsräume wird durch das Auftreten nichtmariner  Fische im Unter-Devon charakterisiert (Euro-Amerikanische Cephalaspiden-Provinz).
Der Rheische Ozean hatte im mittleren Silur seine größte Breite erreicht, sodass die Faunen entlang der Südküste Laurussia und der Nordküste Gondwanas deutlich voneinander unterscheidbar sind. Der silurische Riffgürtel von Avalonia/Baltica (hervorragend dokumentiert beispielsweise auf der schwedischen Insel Gotland) als Teil Laurussias zeugt von tropischen Warmwasserbedingungen. So findet man im oberen Silur Schottlands gut erhaltene Fossilien kieferloser Fische, sogenannte Anaspida. Über die gesamte Dauer des Devons driftete dann Gondwana nach Norden, was zur Verschmälerung des Rheischen Ozeans führte. Diese paläoozeanischen Veränderungen hatten eine Angleichung der Faunenprovinzen am Süd- und Nordufer des Meeres zur Folge. Auf dem Old-Red-Kontinent etablierten sich hervorragende Fossilisationsbedingungen für terrestrische Organismen. Berühmt sind die Fossilien aus den mitteldevonischen See-Ablagerungen Nordschottlands, des Orcadischen Beckens am Rande Laurussias. Der alte Old-Red-Kontinent lag bis zum Ende des Devons in äquatorialen bis subäquatorialen Breiten.

Das Jungpaläozoikum umfasst die beiden Perioden Karbon und Perm (360-250 Mio. Jahre). Die plattentektonisch bedingte Schließung des Rheischen Ozeans vom frühen Karbon bis ins Oberkarbon manifestierte sich in einer Gebirgsbildung, die als Hercyniden beziehungsweise Varisziden bezeichnet wird. In den Uferbereichen des sich verschmälernden Rheischen Ozeans lebten während des Unterkarbons „Dreilappkrebse“ (Trilobiten), Ammoniten (Goniatiten) und Muscheln. Aus entsprechenden Sedimenten des Bergischen Landes in der Nähe von Wuppertal ist eine derartige Fauna bekannt. Tropische Klimaverhältnisse begünstigten während des Oberkarbons die Bildung von ausgedehnten Wäldern, denen wir unsere europäische Steinkohle mit ihren herrlichen pflanzlichen Fossilien verdanken. Die Wälder aus Riesenfarnen, Schuppen und Siegelbäumen gediehen in den Saumtiefen der Gebirge. Dies war auch der Lebensraum von Riesenlibellen mit Flügelspannweiten von über 30 cm. Die Urwälder beheimateten darüber hinaus Insekten, Schwertschwänze (Xyphosura), Spinnentiere oder an Tausendfüßler erinnernde Riesengliedertiere. Berühmt wurde eine derartige Fauna aus dem westfälischen Hagen-Vorhalle; die dort angetroffenen Schichten dokumentieren ebenfalls wunderbar erhaltene Elemente der Oberkarbon-Flora.
In der Endphase des Erdaltertums, im Perm, hatte sich schließlich der sich von Pol zu Pol erstreckende Superkontinent Pangaea etabliert. Europa war in diesem Riesengebilde lediglich ein kleiner Bereich in den damaligen Tropen. Im unteren Rotliegenden (unteres Perm) fanden im Rahmen des Kollaps der Variszisch/Hercynischen Gebirge ausgeprägte Grabenbrüche statt, denen beispielsweise der Saar-Nahe-Trog seine Existenz verdankt. Hier kam es zu Ablagerungen von über 6000 m mächtigen festlandgebundenen Ablagerungen, die in verschiedene Formationen unterteilt werden können. Der Sedimentationsraum lag bei 10o nördlicher Breite, also noch im tropischen Klimagürtel der Erde. Es wurde eine Vielzahl von Wirbeltieren gefunden, deren Skelette vollkommen intakt sind oder nur unwesentliche Fehlstellen aufweisen. Dies spricht dafür, dass es am Grunde der Süßwasserseen, die in diesen tektonischen Senken entstanden, keine Aasfresser oder zersetzende Mikroorganismen gegeben hat. Am Ende des Perms, in der Epoche des Oberperms, die bei uns als Zechstein bekannt ist, befand sich Europa zwischen dem Äquator und etwa 50o nördlicher Breite.

Gegen Ende des Erdaltertums, im oberen Perm kam es weltweit in den Meeren wie auf dem Festland in allen Tiergruppen zu einer schweren Krise. Über 80% aller damals lebenden Gattungen starb aus. Die Ursache hierfür lag nicht in einem plötzlichen Ereignis, sondern zog sich über einige Millionen Jahre hin, und das wohl in mehreren Aussterbeschüben. Vorwiegend klimatische Ursachen werden angeführt. Die bereits im oberen Ordovizium und Oberdevon nachgewiesenen Vereisungen in großen Teilen der Südhemisphäre setzten sich als wiederkehrende klimatische Abkühlungsphasen bis ins obere Perm, ja sogar bis in die untere Trias (älteres Erdmittelalter) fort. Andererseits ist das obere Perm in Äquatornähe von sehr heißen, trockenen Klimaten geprägt. Zeitgleich erfolgten in Sibirien großflächig ergiebige Basalteruptionen, deren Exhalationen einen Treibhauseffekt hervorgerufen haben. Auch der Einschlag eines 6-12 km im Durchmesser großen Meteoriten wird diskutiert. Das Zusammenwirken aller Faktoren dürfte als Grund für dieses größte Massensterben aller Zeiten verantwortlich sein.   

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Riesen-Skorpion Slimonia

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Protorosaurus

Informationen zur aktuellen Ausstellung im Lippischen Landesmuseum
Die Ausstellung im Lippischen Landesmuseum Detmold ist vom 9. April bis zum 8. August 2011 täglich außer montags von 10 – 18.00 Uhr sowie samstags und sonntags von 11 – 18.00 Uhr zu sehen. Führungen können unter der Tel.Nr. 05231/992544 gebucht werden. Ein ambitioniertes Rahmenprogramm, u. a. mit Präparationsvorführungen an Originalfossilien kann dem Veranstaltungskalender des Landesmuseums (Homepage) entnommen werden.


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Blick auf einige Exponate der Sonderausstellung.


Literatur:

Grzegorczky, D., Lanser, K.-P. & Schöllmann, L. (2006): Versteinerte Schätze Westfalens.  Fossilien aus 450 Millionen Jahren Erdgeschichte. – Westfälisches Museum für Naturkunde, Landschaftsverband Westfalen-Lippe, A. Hendricks (Ed.), 131 S., Münster.

Linnemann, U., Romer, R. L., Gehmlich, M. & Drost, K. (2008): Paläogeographie und Provenance des Saxothuringikums unter besonderer Beachtung der Geochronologie von prävariszischen Zirkonen und Nd-Isotopie von Sedimenten. – [In:] Das Saxothuringikum. Abriss der präkambrischen und paläozoischen Geologie von Sachsen und Thüringen, U. Linnemann (Ed.) S. 125-136, 2. Aufl., IGCP, Project 497, (Druckhaus Dresden) Dresden.

Serpagli, E. & Ferretti, A. (2000): Europa im Paläozoikum. – [In:] Europäische Fossillagerstätten,  Meischer D. (Ed.) & Pinna, G. (Coord.), S. 17-20, (Springer) Berlin, Heidelberg.

Stanley, S. M. (1987): Krisen der Evolution. Artensterben in der Erdgeschichte. – 246 S., (Spektrum der Wissenschaft Verlagsgesellschaft) Heidelberg.
       


Verantwortlich für den Inhalt dieses Beitrags: Lippisches Landesmuseum Detmold