Präparation und Bergung

Muscheln nach westfälischer Art: Bergung und Präparation einer Platte mit einigen Dutzend Individuen von Gryphaea arcuata

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Im Sommer 2012 wurde zirka zwei Kilometer nordöstlich des Stadtzentrums von Bielefeld ein zirka 150 Meter langes Regenwasserrückhaltebecken ausgebaggert. Durch einen Bericht der Neuen Westfälischen Zeitung wurden wir auf die Baumaßnahme aufmerksam und kontrollierten fortan regelmäßig den Baufortschritt. Schon bei einer ersten nur wenige Minuten dauernden Begehung des Geländes konnten das Bruchstück eines Coroniceras und einige Gryphaen gefunden werden. Bei weiteren Erkundungen des Geländes stellte sich heraus, dass es in einer bestimmten Schicht stellenweise ein regelrechtes Massenvorkommen von Gryphaen gab. Diese Massenvorkommen waren meist wenige Quadratdezimeter groß, teilweise erreichten sie aber auch Quadratmeter-Format. Ob es sich um Zusammenschwemmungen oder Lebensgemeinschaften handelt, vermag ich nicht mit Sicherheit zu sagen. Die Einbettung der meisten Austern auf dem Rücken der gebogenen linken Klappe ist weder Ausweis des einen, noch des anderen, da die stabilste Lage auf der gebogenen Seite der linken Klappe ihrer Lage in Lebendposition entspricht. Ausweislich des in diesem Beitrag vorgestellten Stücks, lag die gebogene Unterseite der Austern überwiegend nach unten zum Sediment ausgerichtet. Einzelne Individuen liegen aber auch kreuz und quer. Da mitunter auch einzelne rechte Klappen vorliegen, vermute ich als Ursache der Massenansammlung am ehesten eine Zusammenschwemmung.

Wir bargen aus dem Anstehenden eine dreistellige Anzahl loser Gryphaen, darunter auch einige gut erhaltene doppelklappige Exemplare. Leider saßen diese in einer bröseligen, tonigen Schicht, die kleinteilig zerfiel, so dass ohne Hilfsmittel keine Bergung von Matrixstücken mit mehreren Individuen möglich war. Im besten Fall konnten so manchmal zwei oder drei durch Pyrit oder verhärteten Kalk aneinander haftende Individuen zusammenhängend bewahrt werden, was angesichts des Massenvorkommens auf engstem Raum aber unbefriedigend war. So reifte schnell die Idee einen Bergungsversuch unter Verwendung von Gips zu unternehmen.

 

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Abb. 1: Einige lose Individuen, innerhalb nicht mal einer Stunde ergraben. Schade eigentlich die Stücke nur isoliert vorliegen zu haben, so dachten wir, und nahmen uns vor eine zusammenhängende Platte zu bergen.

 

Bergung mit Gips und Ponal-Leim

Beim nächsten Besuch der Baustelle nahmen wir ergänzend zu Spitzhacke und Geohammer auch eine Tüte Gips, einen Spatel, zwei Wasserflaschen und mehrere Mullbinden sowie einige alte Torx-Bohrer und einen Becher zum Anrühren des Gipses mit.

Zunächst begannen wir an einer fundträchtigen Stelle mit der Freilegung eines Austern-Friedhofs auf einer Fläche von etwa 30 x 40 cm. Wir arbeiteten uns bis unmittelbar auf die Austernlage herunter und begannen dann randlich die überschüssigen Austern vorsichtig zu entnehmen und das Stück in seiner Abmessung so zu verkleinern, dass eine Platte von handlichem Format (die ohne Weiteres in der Stichel- und Sandstrahlkabine Platz finden könnte) entstand.

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Abb. 2: Zunächst wurde dieser Block von seiner Umgebung (ebenfalls bestehend aus Austern, siehe beim Isolieren des Blocks angeschlagenes Individuum in der oberen Bildmitte) isoliert.

Nachdem das Lockermaterial von der Oberfläche des Blocks entfernt worden war, konnte die Ummantelung mit Gips beginnen. Dieser wurde mit Wasser angerührt und in zähflüssiger Konsistenz auf die sauber geräumte Oberseite der Austernplatte aufgetragen. Um die Stabilität des Gebildes zu erhöhen, wurden Mullbinden und einige ausrangierte Bohrer verbaut. Leider stellte sich heraus, dass wir viel zu wenig Gips in Bezug auf die Größenordnung der zur Bergung vorgesehenen Platte mitgenommen hatten. Die geplante Ummantelung der Ränder der Platte fiel daher notgedrungen äußerst sparsam aus.

 

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Abb. 3: Hermann Simonsen beim Ummanteln der zu bergenden Austernplatte von der Oberseite mit Gips.

 

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Abb. 4: Vom Autor des Artikels in dieser Phase ausgesprochene negative Prophetien, dass die Bergung misslingen würde, erwiesen sich später glücklicherweise als zu pessimistisch. ;-)

 

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Abb. 5: Der Gipsmantel wuchs weiter und wurde mit Mullbinden und Metallteilen stabilisiert. Vermutlich wäre dieses Verfahren bei dieser Größenordnung nicht erforderlich gewesen, geschadet aber hat es in der Rückschau betrachtet aber auch nicht.

 

Die bange Frage lautete: Würde die Platte das Umdrehen und den Abstransport überstehen?

Nachdem der Gips abgebunden hatte, schoben wir in großzügig abgezirkelter Tiefe vorsichtig einen Klappspaten unter das Konstrukt und drehten die Platte so schonend wie möglich um. Die Unterseite wurde auf ein Holztablett gebettet. Und siehe da, die Gryphaen blieben wie erhofft am Gips haften. Jetzt galt es den überschüssigen Tonmergel zu entfernen, um das Gewicht der Platte zu reduzieren. Mit der bloßen Hand wurde Bröckchen für Bröckchen von der Platte "gepflückt", bis die Gryphaen-Lage gut erkennbar und sauber geräumt war.

 

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Abb. 6: Die umgedrehte Austernplatte nach dem Abräumen überschüssigen Gesteins. Die Platte liegt auf ihrem Gipssockel, gebettet auf ein hölzernes Tablett. Es lässt sich gut erkennen, warum ohne den Gipsmantel die Platte nicht zusammenhängend hätte geborgen werden können. Das Material ist extrem bröckelig.

Nun folgte der nächste Arbeitsschritt, in Gestalt des Auffüllens von Rissen mit Ponal-Leim und des Tränkens bzw. Einpinselns der gesamten Matrix mit einem Ponal-Wassergemisch. Sinn der Sache war die Vermeidung der Entstehung weiterer Schrumpfungsrisse und das Härten der Matrix. Beim Einsatz des Ponal-Leims war ich außerordentlich großzügig und wendete reichlich davon auf.

 

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Abb. 7: V.l.n.r.: Der Bielefelder Fossiliensammler Markus Lücke, Otto Storbeck mit seinen Töchtern, Hermann Simonsen und kniend im Vordergrund der Autor des Artikels beim großzügig dimensionierten Einsatz von Ponal-Leim zum Härten der Austern-Platte. Familie Storbeck gewährte uns über mehrere Wochen hinweg freundlich den Zugang zum Baugelände und ermöglichte uns und einigen Sammlerfreunden somit die Dokumentation eines interessanten Fensters in die Erdgeschichte von Bielefeld, wofür wir noch einmal herzlich danken möchten!

 

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Abb. 8: Nicht schön, aber effektiv: Die Platte besteht, schenkt man dem Foto glauben, inzwischen überwiegend aus Gips und Holzleim.

 

Im Gelände konnte dadurch, trotz einiger Wartezeit, allerdings noch keine merkliche Verbesserung der Festigkeit erreicht werden. Nur mit Ponal-Leim wäre die Bergung einer größeren Platte definitiv schiefgegangen, der schnell härtende Gips war insofern das Mittel der Wahl. Nach dem verlustfreien Abtransport und einigen Stunden des Aushärtens, lag der Austern-Friedhof mit einem stark glänzendem Firnis vor. Aber – und das war das Ziel gewesen – er war "bombenfest" geworden. Mit dem Beginn der Präparation wartete ich noch einige Tage ab und ließ die Platte durchtrocknen, bis auch die letzte Restfeuchtigkeit entwichen war.

 

Präparation

Ich musste mich ersteinmal gedulden, denn erst als die Platte richtig durchgetrocknet war, konnte man sie in die Strahlkabine legen, ohne dass sich das Pulver nennenswert am Gips festsetzte oder rostig wurde.

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Abb. 9: Nachdem Gips und Ponal ausgehärtet waren, glänzte die Platte speckig. Sie wirkte aber nun kompakt genug, um der Präparation gewachsen zu sein.

Voller Motivation begann ich mit der Arbeit. Dabei stellte sich heraus, dass die Anwendung von Ponal-Leim in "biblischem Ausmaß" auch ihre Schattenseiten hatte. Der Strahler trieb die den Fossilien und der Matrix anhaftenden Leim-Nähte – und Überzüge vor sich her, ohne dass diese sich sofort ablösten. Bei einer kleineren Fläche ist es kein Problem, aber bei dieser Dimension der Platte sollte es ein Geduldsspiel werden. Zwischen den Strahl-Gängen wurde immer wieder mit dem Skalpell geschabt. Auch mit dem Druckluftstichel wurde gearbeitet. Hier bot es sich an den Flachmeißeleinsatz zu verwenden, da dieser den Mergel über den Austern zum Abplatzen brachte und die Austern auf diese Weise viel weniger "Sticheltreffer" kassierten, als es mit dem Spitzmeißel der Fall gewesen wäre.

 

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Abb. 10: Die Platte nach dem ersten "Abstrahlen". Stellenweise ist das Ponal-Wassergemisch so dick gewesen, dass man längere Zeit draufhalten muss, um hindurch zu kommen. Das machte die Arbeit mit dem Strahler langwierig und ließ mich immer wieder zu Skalpell und Druckluftstichel greifen.

 

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Abb. 11: Mit dem Druckluftstichel wurde der Grobabtrag durchgeführt. Ein großes Risiko für noch unentdeckte Austern. Die weißen Spuren zeigen das, sind überwiegend aber gezielt erzeugt, um kleinen Schalenbruch zu beseitigen und einzelne Individuen besser freizustellen (im Einzelfall auf Kosten anderer, schlechter erhaltener Stücke).

 

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Abb. 12: Der Bereich links unten sah nach weiterem Strahlen mit Eisenpulver nun mehr und mehr so aus, wie ich es mir vorgestellt hatte.

 

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Abb. 13: Die etwas vom Rest der Platte exponierten Austern am rechten unteren Rand der Platte wurden freigestrahlt.

Da nach mehreren zwei- bis dreistündigen Präparationssitzungen immer noch kein Ende der Arbeit in Sicht war und unter dem Mergel immer mehr Austern auftauchten, die eine detaillierte Freilegung verlangten, sich gleichzeitig aber diverse neue und dankbarer bzw. schneller zu bearbeitende Funde bei neuen Exkursionen einstellten, geriet die Austernplatte für einige Zeit ins Hintertreffen auf der Prioritätenliste, nicht aber in Vergessenheit. Zwischen Weihnachten und Neujahr knöpfte ich mir die Platte dann aber doch noch einmal vor, um diese "Altlast" abzutragen. Die vorherige Präparationsarbeit hätte ich mir schließlich auch sparen können, wenn ich die Platte jahrelang halbfertig im Rohmateriallager hätte liegen lassen wollen.

 

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Abb. 14: Die Stufe kurze Zeit nach Wiederaufnahme der Arbeiten. Noch stört überstehender Gips das Auge und es gibt noch Mergelflächen ohne Austernbesatz. Auch sind noch nicht alle Individuen in Gänze freigelegt.

 

Also wurden nochmals einige Stunden investiert, bis fast überall Austern zu sehen waren und die einzelnen Individuen sauber freigelegt waren. Das Ergebnis sah nun bereits richtig gut aus.

 

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Abb. 15: Endlich! Die Präparationsarbeit ist beendet, jetzt steht nur noch das "Finish" aus.

 

Einen zusätzlichen Kick gab der Platte, nach dem sorgfältigen Wegpusten und Abbürsten der Präparationsstäube, dann noch das Bepinseln der Gryphaen mit einem Mowilith-Aceton-Gemisch. Mowilith kann jederzeit bei Nichtgefallen wieder mit Aceton abgewaschen werden und ist daher in vielen Fällen gegenüber anderen irreversiblen Steinpflegemitteln vorzugswürdig. Die Behandlung akzentuierte die Austern gegenüber der Matrix, ohne sie zu stark abzudunkeln oder einen zu aufdringlichen Glanzeffekt hervorzurufen.

 

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Abb. 16: Mit dem Einlassmittel Mowilith gelang es die Gryphaen gegenüber der Matrix zu akzentuieren und den bereits naturgegeben vorhandenen Glanzeffekt der Schalen noch ein wenig attraktiver zu gestalten. Die Stufe hat eine Größe von 34 x 24 cm.

 

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Abb. 17: Blick in die Fülle von Austern.

 

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Abb. 18: Hier türmen sich sogar einige Individuen übereinander, was der Platte zusätzliche Plastizität verleiht.

 

Video-Studie der Präparation

Wer möchte, kann die einzelnen Präparationsstadien und das Dahinschmelzen der Matrix zugunsten der Freilegung der Muscheln auch noch einmal in Überblendtechnik im Steinkern-Kanal auf Youtube betrachten. Dazu muss die Steinkern.de Homepage nicht verlassen werden, ein Klick auf den Startknopf der untenstehenden Einblendung genügt. Viel Spaß!

 

Zur stratigrafischen Einordnung des Fundes

Stratigrafisch ist die Platte, wie vermutlich der gesamte Aufschluss des Regenwasserrückhaltebeckens in der Innenstadt von Bielefeld, in die reynesi-Subzone der Arnioceras semicostatum-Zone des Unteren Sinemurium (Unterer Jura) zu stellen. Die Fauna ist vergleichsweise artenarm und wird durch das Vorkommen von Gryphaea arcuata geprägt. Neben Gryphaea fühlte sich offensichtlich auch der Ammonit Coroniceras lyra (jüngeres Synonym = C. reynesi?) wohl. Er erreichte Gehäusegrößen von weit über einem halben Meter im Durchmesser. Zwischen den Austern auf der vorgestellten Platte sind einige unbestimmte kleine pyritisierte Muscheln eingebettet. Neben den genannten Fossilien war Oxytoma das einzige häufiger auftretende und auffällige Makrofossil in diesen Schichten. Brachiopoden waren rar, Stachelhäuter konnten nur durch vereinzelte Segmente von Seelilien belegt werden.

 

Artzuordnung und Lebenswelt

Die Zuordnung als Gryphaea arcuata habe ich vorstehend ohne ein einziges Wort zur Abgrenzung gegenüber anderen Gryphaen vorgenommen - und dies obwohl mindestens sechs andere Artbeschreibungen für Gryphaen aus dem Zeitabschnitt Sinemurium und Hettangium existieren. Ich richte mich dabei nach NORI & LATHUILIERE (2003), die in ihrer Arbeit (in für mich überzeugender Weise) herausgearbeitet haben, dass alle anderen "Artnamen" von Gryphaea im Hettangium und Sinemurium lediglich prioritätsjüngere Synonyme für G. arcuata sind. Die "Arten" wurden auf Basis von Kriterien, wie z. B. der Krümmung der linken Klappe, aufgestellt, die jedoch innerhalb einer einzigen Population einer erheblichen Variationsbreite unterliegen kann. Zudem hängen Gehäusebau und Schalendicke auch vom Habitat der Auster ab. Äußere Faktoren wie Substrat, Sedimentationsrate, Salzgehalt und Wassertemperatur wirken sich auf die Gestalt der Auster aus. Beobachtungen an rezenten Austern zeigen, dass die Ausprägung von Austernschalen innerhalb eines einzigen Jahres in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen großen Schwankungen unterliegen kann, was zusätzlich untermauert, dass wir es bei in gleichaltrigen Schichten auftretenden, fossilen Austern mit Öko-Phänotypen und nicht mit unterschiedlichen Arten zu tun haben.

Die dicken Schalen der Bielefelder Gryphaen lassen auf hohe Wachstumsraten und eher kühleres Klima in einem Flachmeer schließen. Ein Milieu, in dem sich die Muscheln "pudelwohl" fühlten und gut gediehen. Als auf dem Sediment liegende bzw. mit der linken gebogenen Klappe partiell in selbiges eingesenkte Futterfiltrierer waren sie auf eine gut durchlüftetes und zirkulierendes Wasser sowie einen fortwährenden Nahrungszustrom angewiesen, der in der reynesi-Subzone von Bielefeld jedoch zeitweise nicht mehr gewährleistet war. Es traten nämlich im Wasserrückhaltebecken auch Sedimente zu Tage, die zwar schlecht erhaltene Schwefelkies-Ammoniten, aber keine Austern mehr führten. Die verstärkte Ausbildung von Schwefelkies spricht für weitgehende Sauerstoffarmut am Meeresboden und ist damit Ausweis von Bedingungen, unter denen Gryphaea nicht existieren konnte.

 

Literatur:

Nori, L. & Lathuilière, B. (2003): Form and environment of Gryphaea arcuata, in: Lethaia, 36, S. 83-96, Oslo.

 

Weitere Informationen zur Bielefelder Baustelle und ihrer Fossilführung auf Steinkern.de:

Funde von einer aktuellen Baumaßnahme im Unteren Sinemurium der Herforder Liasmulde (mit zahlreichen Fotos).

 

Empfehlung zum Thema Gryphaea im Steinkern.de Forum:

Ein hundsgewöhnliches, aber schönes Fossil: Gryphaea (mit zahlreichen Abbildungen von Gryphaen unterschiedlichster Fundorte).