Kurioses und Humor

Der Killerkäse und die Devonkoralle

Meine liebste Fossilfundstelle in letzter Zeit ist ein Bach. Er führt durch fossilreiche Mergel. Der Mergel wird langsam weggespült - die Fossilien bleiben liegen. Ein sammlerfreundliches Anreicherungsverfahren. Leider ist der Bach stark überdüngt, so dass reichlich Algen wachsen - dummerweise auch auf den Fossilien. Irgendwann fand ich ein Prachtstück von Koralle schön groß , rübenförmig, einigermaßen gut erhalten, ein echtes Museumsexemplar. Leider völlig veralgt, mit einem häßlich-glitschigen, schwarzen Belag, der sich durch wiederholtes Abbürsten überhaupt nicht beeindrucken ließ. Eine Nachfrage im Internetforum "Mineralienatlas" ergab eine Fülle von Ratschlägen. Richtige Chemikalien sind leider schwer zu beschaffen oder in der Apotheke unbezahlbar. Daher wollte ich es zuerst mal mit Haushaltschemie aus dem Drogeriemarkt und den Ratschlägen meiner Frau versuchen. Wegen meiner Präparationsrückstände wollte ich auf langwierige Vorversuche verzichten und direkt mit meinem Prachtexemplar loslegen.

Zuerst kam das gute Stück in die Spülmaschine. Brachiopoden verlieren da leider ihren Glanz, aber Korallen sind ja robuster. Langes Gesicht - keinerlei Effekt.

Danach probierte ich dann die Geheimwaffe meiner Frau gegen meine bekleckerten Oberhemdem: Vanish Oxi Action. Klang toll und unglaublich effektiv, sowas wie Spiderman unter den Waschmitteln, das musste einfach helfen. Wirkt schließlich selbst bei Tomatensoße, die nach einem bisher undurchschauten physikalischen Gesetz magisch von meinen weißen Hemden angezogen wird, so einen Art punktuell auftretende horizontale Gravitation. Man muss mit dem Wundermittel einen Schaum produzieren, den dann auftragen und einwirken lassen. Mit dem zugehörigen Schwämmchen schäumte ich das Zeug auf, bis ich Krämpfe in den Fingern bekam. Anschließend wurde die Koralle eingeschäumt. Gespannt wartete ich bis zum nächsten Tag, spülte und bürstete - schon wieder nichts.

Ernüchtert probierte ich dann den dritten Geheimtipp meiner Frau. Sie reinigt so immer ihren Schmuck: Backpulver und heißes Wasser. Ich schüttete 2 Tütchen Backpulver in ein Becherglas, Koralle rein und heißes Wasser drauf. Es schäumte heftig, bald quoll das Becherglas über, die ganze Spüle war voller hartnäckiger weißer Flecken. Langwieriges Schrubben war die Folge. Ich ließ das Ganze einen Tag wirken. Am nächsten Tag kam das gute Stück heraus und wurde abgebürstet. Die Backpulverlösung hatte ein deutliches Grau-Rosa angenommen. Ansonsten Teilerfolg. Auf einer Seite ging der schwarze Belag wunderbar ab - auf der anderen strahlte mich die Koralle in einem knalligen Hellgrün an. Die Farbe hatte es an dem Ding vorher nicht gegeben. Ich war völlig verdattert und kam mir vor wie Goethes Zauberlehrling. Sofort dachte ich an meinen Lieblingsasterix "Der Kampf der Häuptlinge" (da färben sich 2 Druiden mit diversen Tränklein und wachsender Begeisterung ständig um). Meine Frau erklärte mir fasziniert, es handele sich um eine hochaktuelle Modefarbe und die passe gut zu ihrer neuen Handtasche, aber eigentlich wäre Orange besser gewesen. Vielleicht hätte sie besser ein paar Millionen Jahre früher diesen Wunsch äußern sollen, die Korallen hätten eine charmant vorgetragene Bitte sicher berücksichtigt, zumindest die männlichen, sozusagen die Koralleriche. Hoffentlich nimmt meine Frau das gute Stück nicht dekorativ an der Handtasche plaziert zum Einkaufen mit, zum Glück ist das Ding  ganz schön schwer. Sonst wären in der nächsten Saison wahrscheinlich grüne Devonkorallen der Modehit und jeder Teen müsste für die Disko so ein Ding haben. Da gäbs dann Anbaggersprüche wie: "Zeig mir Deine Koralle und ich sag Dir wer Du bist" oder "welcher Korallentyp bist Du denn". Die Insider der Korallenszene könnte man an Äußerungen "Du bist aber heute besonders rugos" erkennen. Das Ganze würde dann mit der Frage "Gehen wir zu Deinem Riff oder zu meinem" enden oder mit "nee, heut nich, ich fühl mich so schrecklich tabulat".

Aber zurück zum Fundstück. Als nächstes war Domestos als Präpariermittel an der Reihe, damit müsste die hochmodische Farbe doch wegzukriegen sein. Also Domestos und Wasser 1:1 ins Becherglas und rein mit der Koralle. Es schäumte ein wenig, aber ein weißer Schleier vor der Koralle zeigte, dass sie wie eine islamische Schönheit ihr Geheimnis zunächst für sich behalten wollte. Am nächsten Tag dann das Ergebnis. Das Grün war heller und knalliger geworden, dafür hatte die andere Seite eine seltsam käsige Farbe, so etwa wie ein Ziegenkäse, dem gleich furchtbar übel wird. Die Koralle sah jetzt sehr krank aus, das helle Grün und diese leichenhaft-käsige Färbung wirkten wie aus dem Horrorfilm . "Die unheimliche Killerkoralle von Alpha Centauri", Untertitel: "bringt Verwesung und Schimmel über den Planeten". Aber vielleicht doch besser Killerkäse, es war ja nur eine käsige Schicht auf der Koralle. Wie kriege ich das Ding bloß wieder normal kalkgrau, begann ich zu grübeln,  der käsige Belag sah echt eklig aus.

Vielleicht geht die eigentümliche Färbung mit Essig wieder weg. Also rein damit in meinen Essig zum Präparieren. Nach kurzer Zeit stiegen dann so viele Bläschen auf, dass ich mein Prachtstück wieder herausnahm. Mit dem Zeug hatte ich nämlich schon einige Fossilien ruiniert. Ich verdünnte den Essig 1: 10 mit Wasser und legte die Koralle für einen Tag hinein. Erstaunliches Ergebnis: Das Grün war jetzt im Essig. Übrig von der Farbe war nur noch ein jetzt weißlicher, weicher, kalkiger Belag, der sich mühsam mit dem Skalpell abkratzen ließ. Blieb noch die Killerkäsefarbe, auch die Käseschicht war etwas weicher geworden aber das Zeug jetzt aus allem Rillen und Furchen rauzszukratzen war mir zu mühsam, da hätte ich tagelang gekratzt.

Ein Bekannter aus Norddeutschland erwähnte dann das Wort Algenentferner. Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Genial!! Da wär ich nie drauf gekommen, dass man Algen mit Algenentferner entfernt. Die großartigen Ideen in der Geschichte der Menschheit sind halt immer ganz einfach. Hätte ich theoretisch auch selber drauf kommen können. Wie sagte Hegel so schön: "Der Weg des Geistes ist der Umweg". Da kann ich meine Einfallslosigkeit wenigstens philosophisch verbrämen. Also Algenentferner war die Lösung. Jetzt waren allerdings dummerweise keine Algen mehr an der Koralle, fiel mir mitten in meiner Begeisterung ein . Nur noch Reste von dem ehemals grünen Belag und eben der bleiche Killerkäse. Käseentferner war mit noch nie aufgefallen.

Vielleicht versuche ichs nochmal mit mehr Essig, dacht ich mir, was gegen das knallige Grün hilft, wirkt bestimmt auch gegen den Killerkäse. Oder vielleicht doch eher mit dem Gegenteil, Kalilauge. Ich beschloss dann, da es auch noch  Mergelreste im Kelch der Koralle gab, die von der bisherigen Prozedur völlig unbeeindruckt waren, zunächst mal den Käse zu vergessen und mit einer Standard-Ätzkalipräparation weiterzumachen.

Hinterher kam das Stück dann einige Tage in Kalilauge. Schließlich ließ sich der Killerkäse nach mehrtägigem Einweichen darin mit einer Messingbürste abschrubben. Der Trick mit der grünen Farbe funktionierte auch mit anderen schwarz verfärbten Exemplaren aus dem Bach, sie wurden durch die Backpulverbehandlung wunderbar grün. Mit Algenentferner (Marke „Stein Rein“) tat sich gar nichts.

Na ja bei der nächsten Koralle wird alles besser.  Vielleicht versuch ich’s mal mit Backofenspray.

Hier das versprochene Bild der Koralle:
mesophyllum_joachim1.JPG
Länge 12,5 cm, Durchmesser des Kelches 7,5 cm, Mesophyllum

Und im Detail:
mesophyllum_joachim2.JPG