Bayern

Geologische Wanderung auf den Watzmann

von Sven von Loga

Der Watzmann. Wahrzeichen der Berchtesgadener Alpen. Einer der berühmtesten Berge der Alpen. Von Legenden umragt. Grund genug, ihn wenigstens einmal zu besteigen.

 

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Blick auf die Ostseite des Watzmanns von der Kührointalm aus

Der Watzmann ist dafür bekannt, dass es an schönen Tagen auf ihm zugeht wie auf der Kölner Schilderkasse im Sommerschlussverkauf – aber wir hatten Glück, 2006 war Fußball-WM. Wir hatten den Watzmann fast für uns alleine, ab und an begegneten wir ein paar Wanderern, auf dem Watzmannhaus übernachteten 20 Leute  (bei einer Kapazität von 210 Betten und Lagern war das wirklich idyllisch ruhig). Am Tag, als wir auf den Gipfel gingen, versuchten das auch nur rund 20 Bergsteiger, von denen die meisten schon längst unterwegs waren, als wir uns um 8 Uhr auf den Weg zum Hocheck (2651 m) machten – sie wollten nämlich die Überschreitung des Watzmann-Grates wagen, die wir uns für eines der nächsten Jahre aufsparen, da es für meinen Sohn die erste Bergtour in den Alpen war.

Das Watzmannhaus ist eine Alpenvereinshütte, die wir guten Gewissens empfehlen können. Wir wurden dort sehr freundlich empfangen, die Hütte ist trotz ihrer Größe heimelig und das Essen sehr gut. Nach dem anstrengenden Weg gab es dort das größte Wiener Schnitzel, das ich je im Leben gegessen habe. Es hing an beiden Seiten über den sehr großen Teller und verbarg sich unter einem gigantischen Berg Pommes Frites – es schmeckte, wie solch ein Schnitzel schmecken soll. Trotzdem haben wir danach jeder noch einen ganzen, köstlichen Kaiserschmarren verzehrt.

Der schönste – wenn auch anstrengendste Weg – ist der von St.Bartholomä den Rinnkendlsteig hinauf über die Kührointalm zum Watzmannhaus.

Im Ort Königssee liegt ein gigantischer Parkplatz, dessen Einfahrt an eine französische Autobahnmautstation erinnert, hier lässt man sein Auto einige Tage stehen. Mit voller Ausrüstung auf dem Rücken durchqueren wird die extreme Konzentration der Andenkenläden am Seeufer, sind schockiert darüber, das Menschen so etwas schön finden können und besteigen das Elektroboot Richtung St.Bartholomä, einen Fußweg dorthin gibt es nicht. Die 30-minütige Fahrt über den See ist umwerfend, sie beschert faszinierende Blicke auf den Jenner und auf das Watzmannmassiv mit einer ersten geologischen Erkenntnis : überall nur Kalk ! Tatsächlich werden die steilen Wände beiderseits des Sees vom Dachsteinkalk gebildet, einem grauen gebankten Kalkstein, der sehr standfest ist und deshalb steile Wände, aber keine sanften Hänge bildet.

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Die Kapelle von St.Bartholomä kommt in Sicht, eines der berühmtesten deutschen Fotomotive. Und vor allem : die Kapelle liegt auf einer nahezu flachen Halbinsel, die in den See hineinragt. Dies ist der Schwemmfächer von St.Bartholomä, der aus holozänen (= eiszeitlichen) Flußschottern aufgebaut wird, deren Liefergebiet die Watzmann-Ostwand darstellt, d.h., die gesamte Halbinsel besteht aus Schutt der tieferen Bereiche der Ostwand, der innerhalb der letzten 10.000 Jahre durch den dortigen Bach in den Königssee geschwemmt wurde.

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Vom Schiffsanleger St.Bartholomä wandert man rechts am Seeufer entlang und erreicht nach kurzer Zeit den Einstieg in den Rinnkendlsteig, der von 620 m auf 1346 m zur Archenkanzel führt. Egal, ob zunächst noch durch den schattigen Wald, dann durch den nahezu vegetationslosen Fels, wir wandern durch den Dachsteinkalk, einem gebankten, mal hellgrauem, mal dunkelgrauem Kalkstein. Steil, aber immer auf einem Pfad, manchmal klettert man Holzleitern empor, leicht ausgesetzte Stellen sind durch Drahtseile gesichert, insgesamt kein besonderer Schwierigkeitsgrad. Keine Wolke am Himmel, die Sonne knallt, in der Wand sind wir vollkommen ungeschützt, der Schweiß rinnt. Aber die Ausblicke über den Königssee sind phantastisch, der Rinnkendlsteig ist jeden Schweißtropfen wert.

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Der Königssee übrigens wurde vom Königsseegletscher geschaffen. Ein über 1000 Meter mächtiger Gletscher schürfte während der letzten Eiszeit das Becken des heutigen Königssees aus.

 

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Wahrhaft gigantische Ausblicke über den Königssee und die umliegenden Berge bietet die Archenkanzel, ein Aussichtspunkt, am dem es sich gut rasten lässt. Jetzt fällt ein landschaftlicher und wandertechnischer Wechsel auf. Ist das letzte Stück des Rinnkendlsteiges noch sehr steil und bedarf einiger Kletterei, flacht das Gelände oben sehr deutlich ab, auf dem Weg zur Kührointalm ist die Landschaft eher weich und wellig, ganz anders als zuvor den Rinnkendlsteig hinauf. Man wandert hier über eine eiszeitliche (jungpleistozäne) Grundmöräne, also über Ablagerungen eines Gletschers, der sich hier vor einigen tausend Jahren entlang schob und unter sich aufgearbeitetes Material zurückließ. Hier ragen keine schroffen Kalkfelsen hervor, vielmehr sieht man gelegentlich Kies und Sand in verschiedenen Korngrößen, vom Gletscher zermahlen und gerundet.

 

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Blick auf den Watzmann von der Kührointalm

Von nun an wird es geologisch recht eintönig : Dachsteinkalk über den Falzsteig, die Falzalm bis oben auf den Gipfel, allerdings lassen sich auf dem Weg nach oben einige interessante Phänomene beobachten, die zu Gedanken über den Kalk anregen, denn die Gesteine schaffen die entscheidenden Voraussetzungen für die Herausbildung der gesamten Landschaft.

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Das gesamte Watzmann-Massiv besteht überwiegend aus Kalk oder aus Dolomit. Wie in der Profilskizze zu sehen, liegt an der Basis der Ramsau-Dolomit, der jedoch bei unserem Aufstieg vom Königssee auf den Watzmanngipfel nicht angeschnitten wird, wohl aber weiter westlich im Wimbachtal hervortritt. Die geringmächtigen (dünnen) Raibler Schichten sind eher tonig-mergelig und von schwarz-grauer Farbe und grenzen den Ramsau-Dolomit vom darüber liegenden Karn-Norischen-Dolomit ab. Diesen Dolomit finden wir ebenfalls im Wimbachtal wie auch an der Watzmann-Ostwand, wenn man deren Fuß von St.Bartholomä aus kommend besucht. Über diesem Dolomit schließt sich nun der Dachsteinkalk an, der die gewaltigen Gipfel des Watzmanns, des Hochkalters und des Steinernen Meeres bildet.

All diese Gesteine gehören in die geologische Formation Trias und sind etwa 220 Millionen Jahre alt und eindeutig Ablagerungen eines Meeres, das seinerzeit hier existierte und in dem sich die Sedimente ablagerten, die heute die Gesteine der Alpen bilden.

 

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Auf dem Weg zum Gipfel

Als Beweis finden wir kurz vor dem Gipfel Fossilien : nicht näher bestimmte Korallen und Muscheln der Gattung Megalodon, eine typische Muschel der Triaszeit. Beides sind Lebewesen, die nur in tropischen Meeren lebten. Leider sind die Fossilien fest im massiven Gestein, Proben für meine Fossiliensammlung lassen sich nicht mitnehmen.

 

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Kalk ist schlicht Calciumkarbonat : CaCO3 .  Bei der Umwandlung von Kalk zum Dolomit wird ein Calcium-Ion gegen ein Magnesium-Ion ausgetauscht : CaMg(CO3)2 . Kalk bildet sich im warmen Meerwasser,  indem er einfach aus dem Wasser ausfällt (wie man es auch in der Kaffeemaschine beobachten kann) – Kalk ist in warmem Wasser sehr schlecht löslich. Nach der Ablagerung von Kalkschlamm in einem Meeresbecken werden irgendwann die aufliegenden, neueren und jüngeren Sedimentschichten so dick, das eine Verfestigung des Kalkschlammes durch erhöhten Druck und durch erhöhte Temperatur statt findet. Diesen Vorgang nennt man Diagenese. Der Austausch von Ca durch Mg erfolgt während der Diagenese des Kalkes, wenn magnesiumhaltige Grundwässer durch das Gestein fließen. Gleichzeitig erfolgt eine Vergrößerung der Kristalle und eine Verringerung des Volumens des Gesteins. Legt man Kalk und Dolomit nebeneinander, erkennt man deutlich, das der Kalk gleichmäßig dicht und so feinkörnig ist, das man gar keine Körnung erkennen kann. Der Dolomit hingegen ist oftmals „zuckerkörnig“ und porös, durch die Volumenverkleinerung entstehen zahllose kleine Hohlräume. Geologen testen den Unterschied zwischen Dolomit und Kalk im Gelände einfach mit Salzsäure : Kalk sprudelt bei 10%iger Salzsäure heftig, Dolomit reagiert erst auf 20%ige Salzsäure.

Soweit ein kurzer Ausflug in die Mineralogie, aber ziemlich wichtig für denjenigen, der sich mit den Gesteinen und der Landschaftsformung der Alpen etwas befassen möchte. Schließlich bestehen weite Teile der Alpen aus Kalkgesteinen und eine der schönsten Alpenregionen überhaupt wurde nach dem Gestein Dolomit benannt.

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Interessant ist die Art der Verwitterung in diesem Kalkmassiv, die abhängig von der Gesteinsart ist. Dolomit verwittert physikalisch durch Frostsprengung, Wasser dringt auch in die kleinsten Ritzen, in jede Spalte und in jede Kluft, dehnt sich beim Gefrieren aus und zersprengt das Gestein. Durch diese Vorgänge werden im Laufe geologischer Zeiträume (wir rechnen hier in Jahrmillionen) ganze Gebirge zu grusigem Schutt zerlegt. Beobachten konnten wir diese Schutthalden am Fuße der Watzmann-Ostwand, aber auch im Wimbachtal zwischen Wimbachschloß und Wimbachgrieshütte, wo der Dolomit in kleine Stückchen zerfällt und der Fels von tiefen Runsen durchzogen ist.

 

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Watzmann-Ostwand
 

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Typische Schutthalde im Dolomit an der Watzmann-Ostwand

 

Ganz anders verwittert der Kalk, nämlich durch Lösungsverwitterung. Im Regenwasser enthaltenes Kohlendioxid  (CO2) bildet mit dem Wasser eine schwache Säure (H2CO3) und diese löst Kalk langsam aber sicher auf. Jeder kennt aus den Alpen riesige Schutthalden, die sich über etliche hundert Höhenmeter die Hänge hinauf erstrecken. In den Kalken des Watzmanns – wie auch in anderen Kalkgebirgen – fehlen diese Halden, das Gestein wird einfach vom Wasser gelöst und weggespült. Auch so verschwinden ganze Gebirge im Laufe geologischer Zeiträume. Natürlich gibt es auch im Kalkgestein Frostsprengung und entsprechende Verwitterung, auch auf dem Watzmann liegt Schutt, entscheidend ist die Tatsache, das der große Hauptanteil der Verwitterung Lösungsverwitterung ist.

Verwitterung auf Kalkgestein bezeichnet man als Karst. Auf dem Weg vom Watzmannhaus hinauf zum Hocheck lassen sich schon nach den ersten Serpentinen die ersten ganz typischen Karstformen finden, man marschiert durch ein Karrenfeld, in das das ablaufende Wasser tiefe Rinnen gelöst hat, während scharfkantige Wände stehen blieben.

 

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Karstverwitterung

 

Ebenfalls interessant ist das zwischen Watzmann und Hochkalter gelegene Wimbachgries, ein riesiger Schuttkörper, der im Wimbachtal liegt und bis zu 300 m mächtig werden kann. Diese gewaltigen Schuttablagerungen bestehen ganz überwiegend aus dem Verwitterungsmaterial des Ramsaudolomites. An seiner breitesten Stelle wird das Wimbachgries über 1,5 km breit und auf einer Länge von 10 km ist dieser gewaltige Schuttstrom eigentlich ständig in Bewegung, er fließt abwärts – vor allem nach heftigen Regenfällen im Sommer. Der Wimbach selbst ist kaum zu bemerken, er fließt unterhalb des Schutts entlang und kommt erst kurz vor Ramsau an die Oberfläche – hier zwängt er sich dann mit gewaltigem Getöse durch die enge Wimbachklamm – ein gewaltiges Schauspiel.

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Im Wimbachgries

 

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Wimbachgries vom Watzmangipfel aus gesehen

 

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Wimbachklamm

 

Wer weiter von Norden einen Blick auf den Watzmann werfen kann, sollte versuchen, Kleinen Watzmann, Großen Watzmann und Hochkalter im Panorama zu sehen. Mit etwas geübtem Blick kann man die Lage der Kalkbänke erkennen, die im Watzmann in westlicher Richtung nach schräg oben verlaufen, im Hochkalter in östlicher Richtung nach schräg oben verlaufen und deren gedachte Fortsetzung sich über dem Wimbachtal trifft.

So war es auch einst. Watzmann und Hochkalter sind Reste einer gewaltigen Gewölbestruktur, deren Gipfel über dem heutigen Wimbachtal lag. Die Absenkung eines Grabenbruches schuf zwei neue Gipfel, der Wimbach vertiefte das Tal zwischen den beiden Bergmassiven.

 

Wandertipps

Von Königssee mit dem Schiff nach St.Bartholomä (620 m), den Rinnkendlsteig hinauf über die Kührointalm zum Watzmannhaus (1928 m). Nach Übernachtung Überschreitung des Watzmanngrates und Abstieg ins Wimbachtal, Rückmarsch durch das Wimbachtal, über das Wimbachgries durch die Wimbachklamm.

 

Wer nicht den Watzmanngrat überschreitet und nur auf den Hocheckgipfel (2651 m) geht, sollte dennoch von Ramsau aus durch die Klamm gehen und eine Wanderung das Wimbachtal hinauf bis hinter das Wimbachschloß machen. Es ist imposant, wie der Wimbach durch die enge Klamm donnert und auch das gewaltige Schuttfeld des Wimbachgries ist sehenswert und bietet einen interessanten morphologischen Gegensatz zu den umliegenden Kalkfelsen.

 

Als Tagestour zum Abschluß empfiehlt sich noch eine Wanderung zu den Eiskapellen am Fuß der Watzmann-Ostwand von St.Bartholomä aus, eine leichte Wanderung durch eine bizarre Schuttlandschaft mit einem gewaltigen Watzmannpanorama. Die „Eiskapellen“ sind vom Schmelzwasser ausgewaschene Hohlräume in den ganzjährigen Schneefeldern (Lawinenreste) am Fuße der Watzmann-Ostwand. Das Betreten ist lebensgefährlich, aber man kann an den Rand gehen und  mal die Nase hineinstecken, klirrend kalte Luft kommt hinausgeströmt.

 

Literatur

  • Heinrich Bauregger : Berchtesgadener Land (Rother Wanderführer, Bergverlag Rother, 9.Auflage 2005)
  • Horst Höfler & Heinz Zembsch : Watzmann – Mythos und wilder Berg – 156 Seiten, zahlreiche, meist farbige Fotos (AS-Verlag 2001)
  • Ewald Langenscheidt : Geologie der Berchtesgadener Berge (Verlag des Berchtesgadener Anzeigers, 2001)
  • H.Schöner & B.Kühnhauser : Berchtesgadener Alpen (Alpenvereinsführer, Bergverlag Rother, 18.Auflage 1997)

 

Karten

  • Berchtesgadener Alpen 1:50.000 : Blatt Königssee – Bad Reichenhall (Bayrisches Landesvermessungsamt)
  • Topographische Karte 1:25.000 Blatt 8443 Königssee. – Ausgabe mit Wanderwegen (Bayrisches Landesvermessungsamt)
  • Geologische Karte von Bayern 1:25.000 : Nationalpark Berchtesgaden (Bayrisches Geologisches Landesamt)