Kreide
Pycnodonte vesicularis aus der Rügener Schreibkreide
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- Kategorie: Fossilien aus der Kreide
- Veröffentlicht: Samstag, 30. Juli 2011 21:42
- Geschrieben von Klaus-Dieter Jänicke
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Artspezifik und Besonderheiten der Austernmuschel Pycnodonte vesicularis (LAM. 1806) aus der Rügener Schreibkreide
von Klaus-Dieter JänickePycnodonte vesicularis ist ein relativ häufig zu findendes Makrofossil in der Rügener Schreibkreide (Oberes Untermaastricht). Gute Fundmöglichkeiten bieten etwa die Sassnitzer Kreideküste, das Kreidekliff des Kap Arkona und die Kreidebrüche Wittenfelde und Promoisel.
Eine Faziesgebundenheit von Pycnodonte vesicularis ist zwar subjektiv erkennbar, jedoch noch nicht weiter untersucht worden. Als Geschiebefossil im Raum Potsdam, ist P. vesicularis eher selten anzutreffen.
Morphologisch typisch ist ein unsymmetrischer Schalenaufbau beider Klappen, mit randlich ausgestelltem „Flügel“. Die linke, stets größere Klappe ist meist stark gewölbt und je nach biologischem Alter hohlförmig bis dickschalig (adulte Form). Die rechte Klappe ist relativ flach und deckelförmig. Beide Fossilteile werden eher selten zusammenhängend gefunden. Auffallend sind zwei Muskelansatzstellen, die sich randlich bzw. mittig befinden. Die Schale selbst weist sowohl blasenartige als auch dichtere Strukturen auf. Damit ist P. vesicularis auch bruchstückhaft von anderen Muscheln der Rügener Schreibkreide unterscheidbar.
Zu Lebzeiten benötigte die Auster nach ihrer larvalen Phase eine feste Unterlage, sog. sekundärer Hartboden, für den weiteren Aufwuchs. Eine relativ glattschalige Fauna erwies sich hier als besonders geeignet (Belemnitenrostren, Muscheln, irreguläre Seeigel, Schwämme, Ammoniten u.a.). Die Nutzung von Kleinfauna als Aufwuchsfläche, z.B. Bryozoen, ist meist nicht mehr erkennbar.
Mit dem Wachstum der linken Klappe wurde das Substrat der Aufwuchsfläche teilweise, auf Grund einer anfänglichen Verkittung mit diesem, nachgeformt. Hieraus ergaben sich, je nach Größe der Aufwuchsfläche, infolge der anschließenden freien Wuchsphase, sehr unterschiedliche Krümmungsformen der linken Klappe. Die Folgerung daraus verschiedene Taxa abzuleiten, halte ich für nicht gerechtfertigt.
Entsprechende Wuchsformen sind auch für die rechte Austernklappe ersichtlich. Bei skulpturierten Aufwuchsflächen wurden diese in die andere Klappe hinüber geformt (xenomorphe Erscheinung, siehe dazu den Artikel von Dr. Oliver Schneider: Das besondere Fossil: Jura-Auster kopiert Ammonitengehäuse (Xenomorphes Wachstum). Nur so konnten sich beide Klappen wachstumsbedingt dicht schließen.
Auf Grund relativ glatter Außen- wie Innenflächen, wurde P. vesicularis auch selbst zum sekundären Hartboden. Als häufige Epifauna sind die eigene Art und die ähnlich aussehende Form von Atreta nilssoni anzusprechen sowie Bryozoen und Serpuliden.
Spuren der Zerstörung an den Außenflächen der Auster wurden sowohl vom Bohrschwamm Cliona celata micropora, als auch von bohrenden Gastropoden verursacht.
Anhang
1806 Lamarck - Ostrea vesicularis, Erstbeschreibung
1823 Sowerby - zur Gattung Gryphaea LAM. gestellt
1842 v.Hagenow - Gryphaea vesicularis (LAM.) (1)
Ostrea hippopodium v. HAG. (2)
Ostrea ungula-equina v. HAG. (3)
1898 Müller - (1) und (2) als syn. Sp.
1913 Woods - Bestätigung dgl.
1932 Wolansky - (1), (2) und (3) als syn. Sp., O. hippopodium und O. ungulaequina sind Jugendformen, Formvariabilität durch bestimmte Umweltbedingungen
1941 Ranson - Untersuchung der Schalenstruktur, Stellung zur Gattung Pycnodonta F. v. WALDHEIM
heutige taxonomische Bezeichnung: Pycnodonte vesicularis (LAM. 1806)
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Abbildungen:
Abb. 1: „Pycnodontennest“. Diese Austern wurden aus einem Kreideblock geborgen.
Abb. 2: Typische Krümmungen der linken Klappe, kleine Aufwuchsflächen, randlicher „Flügel“ und hohlförmige Gestalt.
Abb. 3: Deckelförmige rechte Klappe mit Muskelfleck.
Abb. 4: Randliche Muskelansatzstelle, Ligament.
Abb. 5: Mittig gelegene Muskelansatzstelle.
Abb. 6: Rechte Klappe mit Muskelansatzstelle und wulstartiger Erscheinung.
Abb. 7: Schnitt durch linke (untere) und rechte Klappe, mit Feuersteinausfüllung.
Abb. 8: Abgerollte linke Klappe.
Abb. 9: Bruchfläche im Bereich des mittleren Muskelflecks, blasige Struktur wechselt mit dichter Schalenlage.
Abb. 10: Schalenbruchstück, linke Klappe, Wechsel der Schalenstruktur (blasige und dichte Lagen).
Abb. 11: Juvenile Auster auf Echinocorys sp. (unten), links oben Atreta nilssoni.
Abb. 12: Aufwuchsflächen mit Coronateilen irregulärer Seeigel.
Abb. 13: Juvenile Auster auf Belemnitenrostrum, randlich mit blasiger Struktur.
Abb. 14: Linke Klappe mit Belemnella occidentalis als Aufwuchsfläche.
Abb. 15: Sehr große Aufwuchsfläche einer linken Klappe (ca. 55 ccm), sehr geringe Krümmung.
Abb. 16: Aufwuchsfläche (unbekannter Schwamm) mit regelmäßigen Knötchen.
Abb. 17: Gehäuseausfüllung durch P. vesicularis (Ammonit Scaphites sp.).
Abb. 18: Innoceramus sp. als Anheftungssubstrat.
Abb. 19: Linke und rechte Klappe mit xenomorpher Erscheinung.
Abb. 20: Coronateil von Stereocidaris sp. als Aufwuchssubstrat.
Abb. 21: Ausschnitt von Abb. 19, durchformte Skulptur der Cidarisform an der rechten Klappe.
Abb. 22: Juvenile Auster auf adulter linker Klappe.
Abb. 23: Juvenile Auster auf der Innenfläche einer rechten Klappe.
Abb. 24: Atreta nilssoni auf der Innenfläche einer rechten Klappe.
Abb. 25: Glomerula sp. als Epifauna auf linker Klappe.
Abb. 26: Membranipora sp. als Epifauna auf einer Innenfläche.
Abb. 27: Netzartige Bryozoe als Epifauna auf rechter Klappe.
Abb. 28: Gyropleura cypliana als Epifauna auf einer Innenfläche.
Abb. 29: Cliona celata micropora mit freigelegten Kammern auf linker Klappe.
Abb. 30: Gastropodenbohrung in linker Klappe.