Karbon

Fossilien sammeln im Steinkohlebergwerk

von Sven von Loga

 

6.30 Uhr. Seilfahrt in Schacht 2. Mit 36 km/h rast der Förderkorb in die Tiefe. Ein Lichtblitz, wir haben die 610-m-Sohle passiert, nach Augenblicken erneuter Dunkelheit folgt die 710-m-Sohle. Kurz darauf beginnt das Bremsmanöver, der Korb verlangsamt stark, stoppt ruckartig und federt an dem jetzt bald 900 m langen Stahlseil wie an einem Gummiband auf und ab, macht Jojo, wie die Bergleute sagen. Vor mir liegt der „Bahnhof“, viergleisig mit endlosen Kolonnen vollbeladener Wagen, eine Halle wie ein Dom, 860 m unter der Erde.

 

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Ein Personenzug bringt uns vor Ort, nach 3 km Fahrt erreichen wir die Bandstrecke von Flöz E. Hier ist eine Störung aufgetreten, die näher untersucht und eingemessen werden muß. Die Bandstrecke sieht böse aus, der Berg hat kräftig gedrückt. Von den ehemals 16 qm Streckenquerschnitt ist kaum noch etwas offen geblieben. Die schweren (36 kg/m) Stahlbaue sind verbogen wie Wachskerzen, die Sohle drückt von unten in die Strecke hinein. Zwischen den Bauen quetscht sich der Berg wie eine zähflüssige Masse hindurch und droht die Drahtmatten zu sprengen.

 

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Es ist warm, die Luftfeuchtigkeit hoch, der schwarze Staub dicht. Unsere Helmlampen, die einzige Beleuchtung hier im Bauch der Erde, reichen gerade 3 Meter weit. Doch dann wird es vor uns laut und hell, aus dem Berg hinaus rumpelt der Panzerförderer, gelbbehelmte Bergleute setzen Stempel, um ein Einbrechen des Gebirges zu verhindern, Berieselungsanlagen schlagen den immer dichter werdenden Kohlenstaub nieder.

 

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Calamites sp.
oben : Querschnitt
unten : Seitenansicht

 

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Das geringmächtige Flöz hat nur 80 cm Höhe und der Streb nicht viel mehr. Auf der einen Seite der „Panzer“, ein stählener Kettenförderer, an dem der Kohlenhobel entlang läuft und die Kohle aus dem Anstehenden herausschneidet. Auf der anderen Seiten die schweren Hydraulikschilde, die das Hangende abstützen und mit dem Fortschreiten des Abbaus nachrücken. Dazwischen, 50 cm breit, ein Gang, knappe 60 cm hoch, manchmal auch niedriger.

 

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Sigillaria sp.

 

Wir ziehen uns auf dem Bauch liegend den Streb entlang, höhere Passagen erlauben „vierfüßiges“ Kriechen. Der Hobel schabt dicke Kohlescheiben aus der Wand, der Boden zittert leicht, wenn sie herabfallen. Das also ist das „Schwarze Gold“, dessentwegen Menschen die Erde mit kilometerlangen Gängen durchziehen, das auch mich in mittlerweile über 1000 m Tiefe in einem dunklen, engen Gang liegen lässt. Steinkohle, abgelagert im Westfal des Oberen Karbon, vor rund 300 Millionen Jahren, heute vom Bergwerk „Emil Mayrisch“ ins Siersdorf bei Aachen ans Tageslicht gefördert, mit Investitionen von vielen hundert Millionen Mark.

 

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Cardiopteris sp.

 

Riesige Wälder, durch und durch versumpft, auf deren Boden Moose und Farne üppig gediehen, schufen die Voraussetzung für die Kohleflöze.

 

Gespannt schaue ich mich nach den Überresten dieser Wälder um. Ich suche Siegelbäume und Schachtelhalme, erwarte Franbüschel. Fehlanzeige ! Der Geologenhammer an meiner Hüfte, der mich bei der Krabbelei nur behindert, ist wieder einmal umsonst mitgenommen.

 

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Pecopteris sp.

 

Später vermessen wir die Bandstrecke von Flöz Z, dessen Abbau vor rund einem Monat eingestellt wurde. Der Streb ist groß ausgebaut; in Kürze sollen Panzer und Hydraulikschilde entfernt werden. Danach wird der Streb einstürzen – Bruchversatz nennt man so etwas. Hier herrscht Ruhe, ich kann ungestört einen Blick in das Hangende werfen.

 

In der Kohle selbst sind keine Fossilien enthalten, die fortschreitende Inkohlung des Pflanzenmaterials hat jegliche Struktur zerstört. Die Überlieferung von Pflanzenresten ist nur möglich, wenn sie in feinklastischem Sediment eingebettet wurden. So findet sich im Liegenden des Kohleflözes immer ein Wurzelboden, ein für das Auge recht freudloses Gewirr von Wurzelsträngen, das selten interessante Objekte liefert. Mein Augenmerk muß deshalb besonders dem Hangenden des Flözes gelten, das in der Regel Pflanzenhäcksel und nur vereinzelt größere Pflanzenteile bietet, gelegentlich aber auch vortrefflich erhaltene Baumstämme und Farnwedel.

 

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Pecopteris sp.

 

So auch das Hangende von Flöz Z. Mir ist, als stünde ich im Walde. Und das Bild ist gar nicht mal so falsch. Was sich meinem Auge bietet, gibt es in keiner Fossiliensammlung – wird es leider auch nicht in meiner geben. Über mir eine einzige große Fläche aus Resten von Sigillarien, Calamiten, Lepidodendren und Cordaiten. Da gibt es über 5 m lange und über 50 cm breite Stämme in makelloser Erhaltung. Schon sehe ich einen 5 x 10 Meter großen Ausschnitt als Decke in meinem Wohnzimmer – da holt mich die Realität wieder ein: der Strebausbau macht es unmöglich, größere zusammenhängende Stücke herauszulösen. Nicht einmal ein Foto kann ich schießen, Blitzen ist Untertage wegen der Explosionsgefahr des Grubengases strengstens verboten.

 

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aff. Asterophyllites sp. aus einem Bohrkern

 

Das Karbonfossilien-Paradies im Steinkohlebergwerk, von dem viele Sammler träumen, lässt sich nicht nach Hause tragen. Die zwei Monate auf „Emil Mayrisch“ haben meine Sammlung nur um wenige, halbwegs interessante Stücke bereichert, obwohl Sammlungen von Bergleuten gelegentlich mit Prachtstücken glänzen, die die Kumpel von unten mit heraufgebracht haben.

 

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Fündig wird der Sammler auf den Abraumhalten der Steinkohlebergwerke, die grundsätzlich den Besuch lohnen, da hier , ausgenommen die Kohle, alles geförderte Material aufgehaldet wird. Allerdings sind diese Halden alles andere als ungefährlich, da es in ihnen oftmals zu großflächigen Rutschungen und Setzungsbewegungen kommt.

 

Trotz des vielfach recht stark zerkleinerten Materials lassen sich immer wieder schöne Fossilien finden, natürlich vorwiegend Pflanzen, aber auch Insekten wie Spinnen und Libellenartige. Meereseinbrüche in die Gebiete, wo die Kohleflöze entstanden, sorgten dafür, dass sich in den hangenden Tonschiefern häufig Muscheln, Ostrakoden und andere Meerestiere finden; von „Emil Mayrisch“ beispielsweise sind pyritisierte Goniatiten bekannt geworden.

 

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pyritisierter Goniatit Homoceras diadema (BEYRICH)
Namur, Unteres Oberkarbon
Grube "Emil Mayrisch", Siersdorf

 

Auch Mineralien bieten die Halden, teilweise sogar in großwüchsigen Kristallen, die tektonische Klüfte ausfüllten und nun auf den Halden, teils bereits freigewaschen, aufgelesen werden können.

 

Etwas problematisch ist die Frage der stratigraphischen Einordnung der Haldenfunde. Man muß die Entstehungszeit der in den verschiedenen Kohlerevieren abgebauten Flöze kennen, will man das Haldenmaterial wenigstens grob einordnen. Erste Hinweise dazu gibt die beigefügte Tabelle. Bei der Betriebsleitung der Bergwerke kann zudem erfragt werden, welche Flöze gerade im Abbau stehen und damit, was für Material auf Halde gekippt wird.

 

 

 

 

 

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Zeitraum der Flözbildung in den einzelnen Kohlerevieren (schwarzer Balken) und lokale Benennung der einzelnen Schichten.

 

 

 

Fotos und Sammlung : Sven von Loga

 


 

Literatur

 

 

 

BACHMANN, M., HERBST, G & KIMPE, F.M. (1970) : Derzeitiger Stand der Flözparallelisierung zwischen den Steinkohlerevieren der Niederlande, von Aachen-Erkelenz und vom Niederrheingebeit. – Compte Rendu 6e Congres Intern.Strat.Geol.Carboniferous, Sheffield 1967. Vol.II, 1970, Seiten 445-452.

 

 

 

Die Karbonablagerungen der Bundesrepublik Deutschland : Eine Übersicht (1971) : Fortschritte in der Geologie von Rheinland und Westfalen, Band 19. - Krefeld.

 

 

 

Das Karbon der Subvariszischen Saumsenke. Ein Symposium (1960-1962) : Fortschritte in der Geologie von Rheinland und Westfalen, Band 3 (3 Teilbände). – Krefeld.

 

 

 

 

 

Dieser Artikel erschien bereits im gleichen Wortlaut in Heft 4/1986 der Zeitschrift FOSSILIEN. Die Steinkohlebergwerke „Anna“ in Alsdorf und „Emil Mayrisch“ in Siersdorf sind heute stillgelegt, damit ging die jahrhunderte alte Bergbautradition im Aachener Revier zuende. Dennoch finde ich, dass es dieser Artikel wert ist, ihn heute bei Steinkern.de nochmals zu veröffentlichen, um von Fundstellen unter Tage zu berichten, die die meisten Sammler leider niemals persönlich kennen lernen können.