Devon

Bergung von Conodonten aus oberdevonischem Paläokarst

Es ist immer wieder erstaunlich, wie vielfältig und abwechslungsreich die Beschäftigung mit der Erdgeschichte und das Sammeln von Fossilien sein können. Ein einzelner Mensch wird nie alle Arten von Aufschlussbedingungen quer durch die komplette Erdgeschichte zu sehen bekommen. Oft erlebt man eine Überraschung schon wenige Meter von einem bekannten Aufschluss entfernt. Vor einiger Zeit wurden bei Straßenbauarbeiten in oberdevonischen Sedimenten bei Velbert unerwartet größere Kalkstotzen freigelegt.

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Ich konnte damit nicht viel anfangen und Fossilien waren auch keine zu sehen. Es sah aus wie ein Massenkalk, der durch die oberflächennahe Lagerung angefressen war. Die Bauarbeiten wurden durch die unerwarteten Felsen erheblich behindert und so ergab sich die Gelegenheit, den Aufschluss über einen längeren Zeitraum zu beobachten. Die Lokalität wird vom Geologischen Dienst NRW und von der Universität Münster bearbeitet. Aus dem scheinbar eher uninteressanten Aufschluss wurde eine spannende Geschichte.

 

Es fing damit an, dass sich durch die Witterung und zusätzlich auch durch die manuelle Reinigung mit Wasser und Bürste sehr interessant anzusehende Profile offenbarten.

 

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Wo kam der Kies für diese auffälligen Kieslagen her? Irgendwo muss Land gewesen sein. Eventuell eine Insel? Die tektonischen Risse wurden bereits früh wieder mit Kalk aufgefüllt.

 

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Dieses wunderschöne Handstück mit einer Kiesschüttung konnte ich nur bergen, weil die Verkarstung es für mich von dem extrem massiven Block gelöst hatte und dabei die Kiesel aus dem Kalk herausmodelliert hat. Meinen hilflosen Versuch noch ein zweites Stück mit Hammer und Meißel von dem Block zu lösen, hat letzterer nur müde belächelt. Das Zeug ist unglaublich hart, kein Wunder, dass die Bauarbeiten an dieser Stelle erst einmal eine "Meditationspause" eingelegt haben. Raster 1 cm

 

 

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Bei näherem Hinsehen bestand der Kalk plötzlich aus Milliarden winziger Crionoiden-Segmente.

 

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Auch ein paar Korallen wurden sichtbar. Korallen im Mitteldevon der Eifel zu finden, ist nichts Besonderes, aber so weit oben im Devon war ihre Blütezeit schon lange vorbei und weltweite Events wie die Kellwasserkalke zeigen heftige Rückschläge für diese Organismen an. In diesem Profil könnten also die letzten Korallen des Rheinischen Schiefergebirges stecken. Für diese Aussage braucht man aber eine genaue Datierung, die aufgrund des Fehlens von Makrofossilien nicht ganz einfach zu bewerkstelligen ist.

 

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Bei diesen schlecht erhaltenen Organismen konnte man Stromatolithen vermuten, da diese auch im näheren Umfeld gefunden wurden, aber es sind doch eher Stromatoporen.

 

 

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Ebenfalls interessant fand ich diese schwarzen Schwarten. So im Zickzack und kreuz und quer konnte es sich kaum um normale Sedimentablagerungen handeln. Das sind Stylolithen. Diese Drucklösungserscheinungen entstehen so nur in großer Tiefe. Da hier noch Ablagerungen des Unterkarbons auflagen und die folgende Gebirgsbildung das Paket ebenfalls tief nach unten verfrachtet hat, sind zahlreiche solcher diagenetischer Veränderungen zu beobachten. Diese Sedimente sind vermutlich über fünftausend Meter tief abgesunken und dann über hunderte Millionen Jahre bis heute durch Erosion wieder an die Oberfläche gekommen. Es fällt schwer, sich die abgelaufenen diagenetischen Prozesse auch nur ungefähr vorzustellen. Leider haben sie den Fossilien nicht gut getan und Vieles wurde zerstört. 

 

Da es kaum Makrofossilien gibt und erst recht keine leitenden Fossilien, war schnell klar, dass ohne die Bestimmung von Conodonten keine Alterseinstufung möglich war. Da ich schon mehrfach an der Gewinnung von Conodonten aus massivem Kalk gescheitert war, dachte ich mir erst einmal "ok, das wird wohl den Profis vorbehalten bleiben". Aber auch sonst konnten bei genauer Betrachtung viele interessante  Beobachtungen gemacht werden, die ich dem langweiligen Kalk nicht zugetraut hätte.

 

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Auf diesem Bild sieht man recht gut, wie die Kalkfelsen von den etwas jüngeren sandigen Tonen der Hülsbeck-Formation (Hembergium) umschlossen wurden.

 

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Dieses unter schlechten Lichtbedingungen im Winter entstandene Handyfoto zeigt die Bedeutung des Begriffes "Paläokarst" vielleicht ganz gut. Durch die Verkarstung der Kalke "flossen" die darüber liegenden jüngeren sandigen Tonsteine ganz langsam zwischen die Kalke und wurden dabei ziemlich verbogen. Das erschwert die Fossilsuche sehr, da Schichtung und Schieferung quasi in jedem Brocken anders gegeneinander versetzt sind.

 

Hinzu kommt, dass die Tone an dieser Stelle an sich schon recht fossilarm sind. Es gibt nur winzige Brachiopoden (<5mm) und Crinoidensegmente (<2mm), die nur als Hohlräume überliefert sind. Auch Solitärkorallen sind als Hohlräume nicht selten, aber die Zeit der Riffe war vorbei. Es gibt keine Stockkorallen mehr.

 

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Der dunkle Bereich oben auf dem Kalkstotzen ist ein Cephalopodenkalk, während darunter nur die winzigen Crinoiden-Segmente zu sehen sind. Auch diese abrupte Veränderung lässt erahnen, wieviel Zeit in diesen Kalken steckt. Laut Stratigraphie von Deutschland, Band VIII, Devon, Seite 441 verlagerte sich der Schelfrand im Oberdevon nach Nordwesten. Aus der Schelffazies mit ihren Riffen wurde eine Beckenfazies. Die dunklen Cephalopodenkalke werden in dem Artikel als isolierte Tiefenschwellen interpretiert. Leider waren die Fossilien sehr schlecht erhalten und kaum zu bergen.

 

 

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Ebenfalls interessant sind Hartgründe vom Top der Kalke. Die Mangelsedimentation führte zur Anreicherung von Cephalopoden, Goniatiten und auch von gestreckten Cephalopoden in fragmentarischer Erhaltung, wie an diesem Stück rechts zu sehen. Die Knubbel scheinen durch Bakterienmatten entstanden zu sein.

 

Dann habe ich mir für ein paar Euro ein Taschenmikroskop aus Plastik bei eBay besorgt und habe mir die Kalke vor Ort näher angesehen. Da die Kalke sehr schonend angelöst wurden, sind an der Oberfläche Conodonten von 1-2 Millimeter Länge durch dieses Gerät gut zu erkennen.

 

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Ich habe dann versucht von den ebenfalls reichlich herumliegenden Kalkbrocken die Conodonten zu bergen. Bereits das Abbürsten mit Wasser hat jedoch die meisten Conodonten zerstört. Daraufhin habe ich dann kleinere Brocken mit nach Hause genommen und vorsichtig mit einem Brausekopf abgespült und mit einem Sieb mit einer Maschenweite von 0,1 Millimeter aufgefangen.

 

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Das Abbürsten mit einer weichen Handbürste hat nicht gut funktioniert. Ein Nachmittag vergebliche Arbeit, aber auf diesem Foto sieht man die angelösten Brocken gut. Erst nach ein paar Wochen und reichlich Regen war überhaupt etwas zu erkennen. Die schweren Baumaschinen hatten reichlich Schlamm verteilt.

 

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Das 0,1 Millimeter Sieb ist sehr praktisch, um Mikrofossilien aller Art aufzufangen und lose anhaftende Partikel zu entfernen.

 

So konnte ich auch ohne Säure zahlreiche gut erhaltene Conodonten bergen. Die folgenden 1 bis 2 Millimeter großen Conodonten waren für mich mangels Literatur erst einmal nicht auf Artenebene zu bestimmen. Jedes Conodontentier hatte in seinem Kieferapparat verschieden geformte Elemente. Das sind hauptsächlich P-Elemente von Palmatolepis und Polygnathus. Von diesen Gattungen gibt es sehr viele ähnliche Arten und Unterarten. In diesem PDF auf Seite 17 ist eine schöne Übersicht zu finden, die aufzeigt, wie sich Unterarten entwickeln können:
http://popups.ulg.ac.be/0037-9395/index.php?id=5421&file=1&pid=5420

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Es gibt auch deutlich kleinere Formen, wie diesen Winzling mit einer Länge zwischen 0,1 und 0,2 Millimetern.

 

Ich habe mir dann etwas Literatur Conodonten besorgt. Meine Bestimmungsversuche habe ich dann in einer Galerie zusammen gefasst:

http://www.steinkern.de/steinkern-de-galerie/devon/oberdevon/velbert.html

In der Spätphase der Baustelle wurden noch weitere Stotzen ausgegraben und relativ schnell wieder zerstört. In dieser Zeit habe ich eine zwar unwissenschaftliche, aber extrem erfolgreiche Bergungsmethode für die Conodonten entwickelt. Der "Lehm", der direkt an den Stotzen hing, hatte den Kalk gut sichtbar angelöst. Also musste ich nur den Lehm bergen, in Wasser einweichen und durch das Sieb spülen. Ich habe zahlreiche Proben genommen und es wird noch Jahre dauern, diese zu sichten. Die ersten Auswertungen zeigen, dass in jeder dieser Proben tausende von Conodonten enthalten sind. Wer also einen devonischen Kalk findet, der oberflächennah zu Lehm verwittert ist, der sollte sich diesen Lehm näher ansehen. Die Methode ist unwissenschaftlich, da der Lehm verunreinigt sein könnte, weil  z. B. Conodonten aus anderen Schichten dorthin verfrachtet wurden. Die Profis nehmen daher ungestörte Kalkproben und lösen diese in Säure auf. Ich denke aber, meine Methode ist für Amateure gut geeignet, um mit sehr geringem Aufwand Kalke zeitlich einordnen, auch wenn keine Makrofossilien zu finden sind.

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Die oberen Bereiche der Stotzen lassen sich an der Grenze Nehden-Stufe/Hemberg-Stufe einordnen. Weiter unten war eine heftige Diskordanz zu beobachten. Hier besteht eine Ablagerungslücke von einigen Millionen Jahren und darunter finden sich Arten aus der Adorf-Stufe. Dazu passt der schöne Spruch: "Die Zeit steckt in den Lücken (und nicht in den Ablagerungen)." Der Kalk beider Ablagerungsbereiche ist optisch kaum zu unterscheiden und man würde ohne die Untersuchung der Conodonten erst einmal eine kontinuierliche Ablagerung vermuten.

  

 

Wie man sieht, können sich auch aus scheinbar fossilleeren und langweiligen Aufschlüssen interessante Erkenntnisse ergeben. Ich bin gespannt, ob es über diesen Aufschluss zukünftig wissenschaftliche Veröffentlichungen geben wird. Die Verhältnisse sind sehr komplex und es ist schwer sich ein Bild zu verschaffen und die zahlreichen Befunde zu deuten. Leider wurden die Kalkstotzen dann doch irgendwann gesprengt und dort eine Brücke gebaut, aber immer wenn ich zukünftig auf dieser Autobahn fahre, werde ich an diesen besonderen Aufschluss denken.

 

Thomas Magiera